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Foto (c) 2016 Disney

Das Leben ist ein Schachspiel

„Beim Schach kann der kleine Bauer eine große Königin werden“, erklärt ein Slummädchen einem anderen die Regeln des Spiels zu Beginn des Films. Genau darum geht es im Biopic „Queen of Katwe“, das den Aufstieg des ugandischen Slummädchens Phiona Mutesi zu einer der besten Schachspielerinnen der Welt erzählt. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Filmen aus dem Hause Disney ist diese märchenhaft anmutende Geschichte berührend realistisch, wozu auch ein fast ausnahmslos schwarzer Cast aus herausragenden Schauspielern beiträgt. Da wagt man mal kurz zu träumen, dass Oscarabräumer „Moonlight“ womöglich ein Vorkämpfer für mehr spannende, schwarze Geschichten im Mainstream-Kino war.

Die von Filmdebütantin Madina Nalwanga beeindruckend verkörperte Analphabetin Phiona stolpert eines Tages zufällig in einen Schachkurs für Slumkinder. Geleitet wird dieser von Robert (David Oyelowo, derzeit auch in „A United Kingdom“), der schon bald das große Schachtalent des intelligenten Mädchens entdeckt, das aus allerärmsten Verhältnissen stammt.

Es verstärkt die Glaubwürdigkeit des Filmes, dass die indische Regisseurin Mira Nair („Monsoon Wedding“) an Originalschauplätzen und auch mit vielen Laiendarstellern in Katwe gedreht hat, dem größten Slum der ugandischen Hauptstadt Kampala. Wenngleich die Bilder von Kameramann Sean Bobbitt für manchen Geschmack womöglich noch ein bisschen zu harmlos-disneyesk geraten sind. Geschickter deutet Nair indes an, wie sehr sich die Überlebensstrategien der Slumkinder und den Regeln des Schachspiels ähneln: Man muss beispielsweise in der Lage sein, besonnen Bedrohungen zu analysieren, man sollte seinen Plänen folgen, um sichere Felder zu erreichen und tunlichst vermeiden, passiv zu sein. All diese Parallelen zeigt der Film auf, ohne dass der Zuschauer das Gefühl bekommt, mit dem Holzhammer bearbeitet zu werden.

Auch wunderbar feministische Töne sind diesem Film nicht fremd: Als Phiona ihr erstes Turnier gegen die gut situierten Kinder einer Privatschule gewinnt, lobt die Laudatorin explizit ihre Aggressivität, die bei einem Mädchen ein richtiger Schatz sei. Doch der Klassendünkel ist das Thema, das sich wie ein roter Faden und doch unaufdringlich durch den Film zieht. Ob ein Schüler aus reichem Hause sich nach dem Handschlag mit Phiona die Finger abwischt oder der elitär denkende Direktor einer Schule die Slumkinder erst gar nicht zum Turnier zulassen will: Subtil bekommt man die turmhohen Hindernisse aufgezeigt, an denen sich das arme Mädchen abarbeiten muss.

Deshalb bleibt Phionas lebenskluge, verwitwete Mutter Harriet lange skeptisch gegenüber der Welt des Schachspiels, die sich plötzlich für ihre Tochter auftut. Harriet wird von Oscarpreisträgerin Lupita Nyong’o verkörpert, die mit ihrer großartigen Darstellung einer würdevollen Löwenmutter dazu beiträgt, dass der Film nicht in einer tränenrührigen Armutskitsch-Geschichte versinkt.

Wie die kluge Mutter bereits ahnte, ändern Phionas erste Siege zunächst einmal überhaupt nichts an ihrer mehr als prekären Lebenssituation. Wenn die Vermieterin die Familie plötzlich aus ihrer armseligen Baracke schmeißt oder der frisch genähte Bruder aus dem Krankenhaus geschmuggelt werden muss, da die Familie die Operation nicht bezahlen kann, so hat das wenig mit der Welt des Königsspiels zu tun. Die Kluft zwischen ihrem Leben während diverser Meisterschaften und demjenigen, dass sie zurück in den Slums führt, lastet auf Phiona ebenso stark wie der zunehmende Erfolgsdruck.

Diese genau beobachteten und toll inszenierten Momente an authentischen Schauplätzen machen den Reiz des ungewöhnlichen Biopics aus. Und obwohl man von vornherein weiß, dass Phiona am Ende Schachkönigin werden wird, verfolgt man den ungewissen Weg dahin mit großer Anteilnahme.

Radio Köln / April 2017