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Foto: (c) 2017 MGM Pictures Inc. / Warner Bros. Entertainment

Aseptisches Hochglanz-Märchen

Die talentierten Hauptdarsteller des Teenie-Dramas „Du neben mir“ können leider nicht gegen eine hohle Charakterzeichnung anspielen.

Nach manchen Filmen fühlt man sich, als hätte man zwei Stunden lang exklusive Lifestyle-Magazine durchgeblättert. Und nebenbei mit halber Aufmerksamkeit noch eine Soap im Fernsehen angeschaut, deren Charaktere ermüdend flach gezeichnet sind. Dieses Gefühl stellt sich im Großen und Ganzen auch nach Stella Meghies Verfilmung von Nicola Yoons Jugendbuch „Du neben mir“ ein. Zwar geben Amandla Stenberg, die bezaubernde Hungerspiele-Teilnehmerin Rue aus „Die Tribute von Panem“, und „Jurassic World“-Entdeckung Nick Robinson alles, um die Chemie zwischen ihren Figen spürbar zu machen, dennoch haben die beiden begabten Schauspieler es schwer, gegen Plotlöcher, hohle Reißbrett-Charaktere und Traumschiff-Fernsehbildästhetik anzuspielen.

Maddy (Amandla Stenberg) ist gerade 18 geworden, ihre Party fiel jedoch klein aus: Das bildhübsche Mädchen leidet nämlich unter SCID, einem seltenen Immundefekt, weswegen sie noch nie das unglaubliche Luxushaus verlassen hat, das ihre Mutter Pauline (Anika Noni Rose) um sie herum errichten ließ. Das ändert sich, als gegenüber der gleichaltrige Olly (Nick Robinson) einzieht. Und schon stellt man sich die Frage, wie sich seine so offensichtlich dysfunktionale Familie mit einem trinkenden, schlagenden Vater die exquisite, südkalifornische Wohngegend überhaupt leisten kann.

Aber man will auch nicht kleinlich sein, haben die beiden Hauptdarsteller doch so etwas Zartes, Berührendes an sich. So verfolgt man zunächst mit Interesse die ungewöhnliche Annäherung zwischen dem schwarzen schwerkranken Mädchen und dem weißen Jungen. Vorerst sind die beiden durch eine dicke Glasscheibe getrennt, die Maddie vor den für sie hochgefährlichen Krankheitskeimen in der Außenwelt schützen soll, und können nur per Handy und Internet miteinander kommunizieren.

Jene Chats sind der einzige Lichtblick in einem Film, der ansonsten kaum konventioneller inszeniert sein könnte: Statt immer nur die Textnachrichten auf den Bildschirm zu werfen, verlegt Stella Meghie die Gespräche an Orte, die Maddy nur in Gedanken besuchen kann – in Fantasiegebäude, die die Schülerin im Rahmen eines Online-Architekturkurses entworfen hat. Ein Astronaut, der stets im gleichen, erträumten Raum weilt wie das kommunizierende Liebespaar, symbolisiert dazu recht eindrucksvoll, wie isoliert sich Maddy fühlen muss.

All die langen Jahre hatten nur ihre Mutter, die Krankenschwester Carla (Ana de la Reguera) sowie deren Tochter persönlichen Kontakt mit ihr. Natürlich nur unter Einhaltung strengster Hygienevorschriften und dem Passieren einer Luftschleuse. Man hätte sich eine kurze Rückblende-Sequenz gewünscht, die das Aufwachsen des Mädchens zeigt, das angesichts seines Martyriums unglaubwürdig ausgeglichen wirkt. Vielleicht würde man Drehbuchautor J. Mills Goodloe dann auch nicht mehr die Frage stellen wollen, warum Maddy in all den Jahren nie gegen ihre völlige Isolation aufbegehrte. Oder warum Maddys Mutter Pauline das Leid ihrer Tochter nicht linderte, in dem sie mehr Menschen in ihr einsames Leben ließ.

Die Beziehung zwischen überängstlichen Ärztin und ihrer einzigen verbliebenen Tochter werden jedoch nur so unbefriedigend angerissen wie Paulines persönlicher Hintergrund. Das macht es schwer, nachzuvollziehen, warum sie Krankenschwester Carla gleich feuert, nur weil die den Nachbarsjungen ins Haus gelassen und Maddy damit einen Herzenswunsch erfüllte. So verliert Maddy auch noch ihre einzige Vertraute! In der jungen Frau erstarkt nun der Wunsch, alles zu riskieren, um nur einen einzigen Tag mit ihrem Liebsten Olly am Meer zu verbringen.

Leider ist diese seichte Inszenierung dieser Reise völlig misslungen und der darauffolgende Plot-Twist wirkt nicht überraschend, sondern schlicht hanebüchen. Auf eine berührende, dramatische Teenager-Liebesgeschichte wie Josh Boones „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ hofft man bei diesem aseptischen Hochglanz-Märchen letztlich vergeblich.

Stimme / Juni 2017