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Nicht mehr nur zu zweit

„Das Ende der Ehe?“ Bevor man bei dem bewusst provokant gewählten Titel des neusten Buches von Emilia Roig Schnappatmung bekommt, sollte man auch noch den Untertitel auf sich wirken lassen: „Für eine Revolution der Liebe“! Das klingt schon einnehmender. Aber worum geht es jetzt eigentlich in dem Buch der 39-jährigen Politologin, die selbst einmal verheiratet war ?

Dem Buch vorangestellt ist ein Zitat der Feministin bell hooks: „Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Liebe.“ Eine gerechte Institution aber war die dem Patriarchat in die Hände spielende Institution der Ehe noch nie – und ist sie immer noch nicht, obwohl inzwischen einige wichtige Reformen der frauenfeindlichsten Gesetze durchgeführt wurden.

Roig führt uns noch einmal vor Augen, welche Probleme auch heute noch aufgrund des Patriarchats und seinem Meisterstück – der überholten Institution der Ehe – existieren: Vom GenderPay-Gap über die Angst vieler Männer vor Nähe bis hin zur Altersarmut bei Frauen.

Dennoch macht die Gesellschaft den Menschen die Ehe als höchstes Ideal immer noch schmackhaft und der Staat fördert dieses Modell: Durch die Heirat erwerben Paare klare finanzielle Vorteile gegenüber allen anderen Beziehungsformen. Das Ehegattensplitting bewirkt auch heute noch, dass derjenige, der mehr verdient, weiterhin Vollzeit arbeitet. In der Regel ist das immer noch der Mann. Die Frauen dagegen werden – spätestens sobald Kinder im Spiel sind –  dazu verleitet, einer Teilzeit- oder gar keiner Erwerbsarbeit mehr nachzugehen. Zu Hause übernehmen sie dann nach wie vor den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit und verlieren so an Selbstbestimmtheit, Macht und Status.

Damit diene die Ehe „nach wie vor den finanziellen Interessen der Männer“ und sei „eine der wichtigen Säulen des Patriarchats“, so Roig. Alleinerziehende, Unverheiratete oder Menschen in polyamoren Beziehungen werden gegenüber Ehepaaren benachteiligt. Man müsse Lohn- und Care-Arbeit dringend neu definieren und entsprechend entlohnen, fordert die Autorin.

Doch geht es Emilia Roig nicht nur um die Finanzen. Patriarchale Unterdrückung und Gewalt in der Ehe werden, auch von den Betroffenen, nicht gern thematisiert, lieber spreche man von „Beziehungsproblemen“ und verkläre somit die unterlegene Position der Frauen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Plan International mit dem Titel „Spannungsfeld Männlichkeit“ liefert dazu – kurz nach Erscheinen des Sachbuchs – erschreckende Zahlen. So findet mehr als ein Drittel der befragten jungen Männer zwischen 18 und 35 es in Ordnung gegenüber ihrer Partnerin gelegentlich handgreiflich zu werden! Diese Zahl deckt sich immer noch erschreckend mit einer von Roig zitierten Studie aus dem Jahren 2017, derzufolge „in Deutschland jeden Tag ein Mann versucht, seine Frau zu töten, und an jedem dritten Tag gelingt es.“

Häusliche Gewalt, Femizide, aber auch Kindesmissbrauch geschehen aber vor allem dort, wo Menschen sich am sichersten fühlen: in der Kleinfamilie, die aufgrund ihrer Isolation Machtmissbrauch vereinfacht. Der dramatische Anstieg von häuslicher Gewalt während der Corona-Lockdowns hat diese These Roigs leider noch einmal bestätigt.

Roig spricht sich deutlich dafür aus, die Übermacht der Ehe und der Kernfamilien anzugehen und mehr auf das „Potenzial von Gemeinschaften“ zu setzen, dem man nur zustimmen kann. Damit einhergehend müssen Männer dringend „Machtmissbrauch, Herrschaft und Unterdrückung verlernen“ –  zum Wohle der „Mehrheit der Weltbevölkerung, der Tiere und der Natur.“

Aber auch für sich selbst, meint Roig: Auch heutzutage tragen ihrer Ansicht nach noch viele Männer aufgrund ihrer Erziehung durch eine immer noch zutiefst vom Patriarchat geprägte Gesellschaft großen „emotionale Schmerz“ in sich, der nach Heilung schreit. All die Männer, die in der Ukraine gerade nicht freiwillig kämpfen, sind nur ein Beispiel für patriarchale Gewalt, die auch den Männer widerfährt.

Gelegentlich formuliert Roig aber unglücklich, was ihrer Mission nicht dienlich ist. So schreit sie beispielsweise „eine „gesunde“ Männlichkeit wäre die Abwesenheit von Männlichkeit“ oder zitiert gar Stoltenberg, der „gesunde Männlichkeit“ mit „gesundem Krebs“ vergleicht.

Letztlich kommt sie zu dem Schluss, dass das Ende der Ehe mit der Auflösung des Binarismus einhergehen muss – nur so könne man die patriarchale Weltordnung, die die Menschen entzweit und unsere Lebensgrundlagen zerstört, abschaffen. Dazu müssten aber zunächst einmal – oder zumindest parallel – Klassenunterschiede angegangen und überwunden werden: dieser Aspekt kommt in Roigs Buch zu kurz. Schließlich gehören alle, die überhaupt über die Grundproblematik der Ehe – als Baustein eines zutiefst ungerechten, kapitalistischen Systems – nachdenken können, zu einer kleinen, privilegierten Schicht.

Dennoch ist Roigs Buch, auch wenn man der Autorin nicht in allen Punkten zustimmt, inspirierend und treibt hoffentlich eine Debatte voran, die unseren Töchtern und Söhnen zugute kommt. Denn wie soll Rosa Luxemburg gesagt haben: „Wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht.“

Foto (c) Jens Kalaene / picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild

„Das Ende der Ehe“ in Die Rheinpfalz von Juni 2023