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Quiet Quitting beim Blutsauger

Der gruselige Diener Renfield aus Bram Stokers Roman »Dracula« ist der Titelheld in einer poppigen Horrorkomödie von Chris McKay. Weil Renfields narzisstischer Vorgesetzter Dracula ihm das Leben zur Hölle macht, löst sich der Geknechtete aus dem jahrzehntelangen ­Dienstverhältnis.

Nicolas Cage spielt Dracula? Das klingt schon einmal äußerst reizvoll, selbst dann, wenn man gar nicht auf blutrünstige Horrorkomödien steht! Ob als cholerischer Kleinkrimineller und schwer verschossener Elvis-Imitator in David Lynchs “Wild at Heart” (1990), als Trinker in “Leaving Las Vegas” (1995, wofür er den Oscar als bester Hauptdarsteller erhielt), skrupelloser Waffenhändler in der Kriegssatire “Lord of War(2005) oder als Besitzer eines entführten Trüffelschweins in dem Gourmet-Drama “Pig” (2021) – auf Cages expressionistische Schauspielkunst bei vollem Körpereinsatz ist Verlass. Selbst den grottenschlechten Filmen, in denen der einst hochverschuldete Darsteller notgedrungen mitgespielt hat, verleiht er durch seine Präsenz doch verlässlich das Cage-typische Etwas.

In Chris McKays moderner Horrorkomödie “Renfield” verkörpert der exzentrische Cage den womöglich wahnwitzigsten Dracula aller Zeiten. Dabei dreht sich die Geschichte eigentlich vor allem um des Grafen Handlanger Renfield, der seit Jahrzehnten damit beschäftigt ist, Menschen heranzukarren, an denen sein Chef sich laben kann. Doch irgendwann ist Robert Montague Renfield, den Nicholas Hoult herausragend spielt, die Launen seines unsterblichen Arbeitgebers so was von leid. Nach Jahrhunderten der Knechtschaft will er sich aus der Abhängigkeit von seinem Herrn lösen und ein neues, besseres Leben beginnen, was allerdings gar nicht so einfach ist.

Hoult, der erst kürzlich in der Horrorsatire “The Menu“als unsympathischer Feinschmecker zu sehen war, hatte vor zehn Jahren schon einmal die Hauptrolle in einer Art Horrorkomödie, Warm Bodies“, gespielt, in der er glaubwürdig einen Zombie-Teenager verkörperte, in den sich trotz seiner schlechten Essgewohnheiten ein Mädchen verliebt. Von dieser Filmerfahrung profitiert der Darsteller sichtlich. Schmachtend gucken, während er eklige Insekten verschlingt und Menschen tötet, das kann er. Auch Cage hatte bereits einschlägige Erfahrung gesammelt, 1989 spielte er einen blutsaugenden und Küchenschaben verspeisenden New Yorker Literaturagenten in Robert Biermans Horrorkomödie „Vampires Kiss“.

Der großartige in Schwarzweiß gedrehte Vorspann von „Renfield“ ist eine Reminiszenz an Tod Brownings “Dracula” von 1931. Die Herr-Knecht-Beziehung zwischen dem Fürsten und Renfield wird darin vorgezeichnet. Doch statt Bela Lugosi und Dwight Frye agieren Cage und Hoult in dem Setting. Fast schade, dass es sich nur um einen kurzen Ausschnitt aus einer längeren Sequenz handelt. „Cage und Hoult haben fast den gesamten Text des ersten Treffens zwischen Lugosi und Dwight Frye gesprochen“, erzählt McKay im Making-of. Zu gerne würde man sich die gesamte Kennenlernszene der beiden anschauen. Aber vermutlich kommt die höchstens einmal als NFT für einen gelangweilten Kunstliebhaber mit Taschen voller Geld heraus. Der kann sich dann sein digitales Sammlerstück allein in seinem Privatkino anschauen. Viel Spaß damit!

Nach dem verheißungsvollen Vorspann erstrahlt Renfields Welt in stimmungsvollen Technicolor-Farben. Doch die Laune des Vampirknechts mit dem Knebelarbeitsvertrag ist eher düster, und so sucht er zu Beginn in New Orleans, wohin es Dracula und seinen Gehilfen verschlagen hat, eine Selbsthilfegruppe für Menschen auf, die sich aus toxischen Beziehungen befreien möchten. Eine köstliche Idee des Drehbuchautors Robert Kirkman, der auch die teilweise sehr blutrünstige Erfolgsserie “The Walking Dead” ersonnen hat. Das sieht man “Renfield” auch an: Da platzt der Körper eines Kirchenmanns respektive “Vertreters der vertrauenswürdigsten Institution der Welt ” und seine Eingeweide fliegen durchs Bild, Köpfe werden mit einem leichtfüßigen Tritt vom Rumpf getrennt, dass das Blut nur so spritzt, und abgerissene Gliedmaßen werden als Waffe weiter verwendet.

Die Unterstützergruppe, die ähnlich wie die Anonymen Alkoholiker arbeitet und sich mit Co-Abhängigkeit und missbräuchlichen Beziehungen auseinandersetzt, wird von dem engagierten Mark geleitet, den Brandon Scott Jones herrlich authentisch verkörpert. Anfangs richtet er aufmunternde Worte an Renfield, doch irgendwann muss der engagierte Mann feststellen, dass man es im Fall Draculas “offenbar mit etwas mehr als nur Narzissmus zu tun hat”.

Der entscheidende Impuls, der Renfield letztlich ermutigt, sich von seinem übermächtigen Boss zu lösen, kommt jedoch nicht von Mark, sondern von der couragierten Verkehrspolizistin Rebecca (gespielt von der Rapperin Awkwafina), die es sich aus persönlichen Gründen zur Aufgabe gemacht hat, die mächtigste Verbrecherfamilie der Stadt zu Fall zu bringen. Ihr Chef ist das Muttersöhnchen Tedward “Teddy” Lobo (Ben Schwartz), die Fäden im Hintergrund zieht seine furchteinflößende Erzeugerin, die Matriarchin Bellafrancesca (Shohreh Aghdashloo).

Bei einem spektakulären Kampf in einer Kneipe – zu dem Beastie-Boys-artigen Sound von Yungbluds Song “Superdeadfriends” – steht Renfield Rebecca spontan zur Seite. Vor dem Gemetzel muss er ein paar Insekten verzehren, um seine Superkräfte zu aktivieren. Fun fact am Rande: Die Schaben, die Renfield zu sich nimmt, wurden aus Karamellmasse geformt, allerdings musste er während des Drehs tatsächlich an die hundert Grillen verspeisen – wahlweise mit BBQ-, Ranch- oder Salt & Vinegar-Geschmack.

Man ahnt natürlich sofort, was passieren wird: Renfield und Rebecca fühlen sich zueinander hingezogen. Doch obwohl die zahlreichen Dialoge zwischen den beiden ganz witzig sind, die Chemie zwischen den Darsteller:innen stimmt und sie auch in ein paar äußerst sehenswerte, comicartige Martial-Arts-Kampfszenen verwickelt werden, hätte man sich gewünscht, dass der Film sich auf die Auseinandersetzungen zwischen Renfield und Dracula konzentrieren würde. Zumal Cage und Hoult die Gratwanderung zwischen Grusel und Komik mühelos meistern.

Leider wird zu viel Zeit auf das Geplänkel zwischen korrupten Gesetzeshütern und einer skrupellosen Gangsterfamilie verschwendet. Dabei kann man es kaum erwarten, bis Renfield und sein angeberischer, wahnsinniger Meister sich wieder begegnen, denn Cage führt sich wieder einmal auf wie in einem besonders bekloppten B-Movie.

Mit Rebeccas Unterstützung gelingt Renfield der Absprung, er verlässt den Keller des stillgelegten Krankenhauses in New Orleans, wo Dracula sich von vergangenen Strapazen erholt. Renfield besorgt sich eine neue Wohnung und neue Klamotten, die jeden Softie vor Neid erblassen lassen. Dracula ist “not amused” und verbündet sich mit der Familie Lobo. Natürlich versteht er sich bestens mit Bellafrancesca und fasst den Plan, gemeinsam mit der Gangstersippe die Weltherrschaft zu erringen. Doch Renfield und Rebecca sind wild entschlossen, ihnen den Garaus zu machen.

Insgesamt ist “Renfield” eine leichtfüßige, blutige Horrorkomödie, die man trotz einiger unnötiger Handlungsstränge liebend gern anschaut. Wer “An American Werwolf in London” und das “over-the-top acting” von Nicolas Cage mag, sollte “Renfield” unbedingt anschauen. Wer eher auf „Bram Stoker’s Dracula oder gepflegtes Method Acting steht und Cage nicht für einen brillanten Schauspieler, sondern für einen grotesken Freak hält, muss sich wohl woanders gruseln.

Foto (c) Universal

“Renfield” in Jungle World von Mai 2023