Foto: (c) X Verleih
Über die Grenzen
In „Mängelexemplar“ (Start: 12. Mai) spielt Claudia Eisinger die Hauptfigur Karo, eine Endzwanzigerin, die immer weiter in den Abwärtsstrudel Depression gerät. Im Interview erzählt die Berlinerin, dass sie durchaus Karos Leid nachfühlen kann.
In den charmanten Räumlichkeiten des X-Verleihs auf der Kurfürstenstraße in Berlin sitzt Claudia Eisinger (31) mit großen, wachen Augen und verbreitet eine angenehm entspannte Gesprächsatmosphäre. Gegen Ende des Interviews kommt Regisseurin Laura Lackmann mit Hund Paul in den Raum spaziert und bestätigt das Gefühl, das einen auch während des Kinobesuchs von „Mängelexemplar“ beschleicht: In einer fast familiären Runde ist mit der Adaption des Sarah-Kuttner-Romans ein glaubwürdiger, berührender und zum Teil auch komischer Film über das schwierige Thema Depression entstanden – mit Claudia Eisinger in der Hauptrolle der Karo.
teleschau: Wären wir hier beim Therapeuten, würde der wahrscheinlich fragen: Wie war denn Ihre Kindheit, Frau Eisinger?
Claudia Eisinger: Ich bin ein Scheidungskind, meine Eltern trennten sich, da war ich zwölf. Und dann hat meine Familie natürlich wie die Filmfigur Karo diesen DDR-Hintergrund, was auch mitprägt.
teleschau: Welche Erfahrung hat Sie am meisten geprägt?
Eisinger: Die Scheidung meiner Eltern war für mich natürlich eine sehr heftige Angelegenheit. Auch die Frage, wo lebt man nun und mit wem. Ich wohnte dann bei meinem Vater, ging mit 16 nach Kanada. Es war dann etwas Heilsames für mich, dass ich komplett rausgegangen bin aus meiner Familienstruktur.
teleschau: Später ging es an die Schauspielschule, dann ans Theater, von wo aus Sie nach vier Jahren zum Film flüchteten. War Ihnen eine Theater-Festanstellung auch zu eingrenzend?
Eisinger: Absolut. Dies gehörte zu meinen Hauptgründen. Das hat mir einfach gezeigt, dass das für mich gar nichts ist, sondern dass ich wirklich auch die Freiheit brauche, immer wieder zu gucken: Was inspiriert mich und was möchte ich machen? Welche Stoffe interessieren mich? Da ist man am Theater als fest engagiertes Ensemblemitglied sehr eingeschränkt und im Grunde fremdbestimmt. Es ist eine Mühle. So habe ich das empfunden. Das hat mich nicht nur nicht glücklich, sondern sehr unglücklich gemacht.
teleschau: Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Thema Depressionen?
Eisinger: Ich habe einen totalen Bezug zur ganzen Thematik. Ich bin natürlich nicht Karo aus dem Film, sondern eine andere Person. Dennoch gibt es viele Überschneidungsflächen, einfach was die emotionalen Tiefen angeht, in denen Karo sich bewegt. Oder auch die Lebensfragen, die sie sich stellt. Und dann dieser Punkt, an den Karo relativ am Anfang des Films gerät, an dem einfach alle Säulen wegbrechen. Dieser Moment, wenn man auf einmal vor dem gefühlten Nichts steht und sich wirklich komplett neu orientieren muss. Diesen Punkt, wenn man sich wirklich mit sich selbst konfrontieren muss, kenne ich aus meinem Leben wirklich sehr, sehr gut.
teleschau: Im Film wird die Möglichkeit der Psychopharmaka-Einnahme letztlich als beste Lösung gegen starke Depressionen hervorgehoben. Wie sehen Sie das?
Eisinger: Ich glaube, der Film meint das so nicht, dass Psychopharmaka jetzt die Antwort sind, sondern es ist eine Möglichkeit mit den Symptomen umzugehen. Der Film erzählt einfach, dass an dem Punkt, an dem Karo ist, Medikamente einfach ein Tool sind, das sie benutzt, um mit ihrem Zustand umzugehen. Mein Weg, mit ähnlichen Zuständen zurechtzukommen, waren sowieso nie Psychopharmaka oder Medikamente, sondern immer ein alternativer Weg.
teleschau: Man sieht schon, Sie sind drin im Thema.
Eisinger: Deshalb konnte ich mit dem Stoff sofort sehr viel anfangen und wollte die Rolle auch wirklich gerne spielen, weil man leider viel zu selten die Möglichkeit hat, etwas zu machen, wozu man wirklich etwas zu sagen hat. Weswegen ich auch viel radikaler geworden bin in der Auswahl der Dinge, die ich machen möchte, und immer mehr dahin komme, die Sachen, die mich interessieren, auch einfach selber zu machen. Letztlich, wenn man es mal vom künstlerischen Aspekt her betrachtet, geht es doch genau darum, dass man seinen Kanal dafür nutzt, das in die Welt zu bringen, was man wichtig findet zu erzählen.
teleschau: Konnten Sie beim Dreh Ihre eigenen Ideen einbringen?
Eisinger: Ja, total. Es war ja auch so, dass vom Zeitpunkt des Castings bis zum Dreh noch einmal ein Jahr verging, weil sich der Dreh immer wieder verschoben hat. Das hing mit Geldern und so weiter zusammen. In dem Jahr ist wahnsinnig viel passiert. Da veränderte sich am Buch auch noch viel. Ich war in den gesamten Castingprozess der anderen Figuren involviert und konnte mich da total einbringen. Das Buch ist mit mir und mit Regisseurin Laura Lackmann zusammengewachsen. Das war, als wir dann anfingen zu drehen, ganz toll, weil dieses Jahr der Annäherung einfach sozusagen schon in unserem System war.
teleschau: Auch mit den Schauspielern gab es Annäherungsversuche abseits des Drehs.
Eisinger: Das war eine ganz tolle Idee von Laura, dass ich mit den wichtigen Hauptfiguren einfach vorher mal was Privates mache. Mit Maximilian Meyer-Bretschneider musste ich zum Tanzkurs, das war einfach entzückend. Ich tanze wirklich wahnsinnig gerne, deshalb machte mir das auch gleich noch doppelt Spaß.
teleschau: Und dann waren sie Heidelbeerpflücken mit Laura Tonke, die ihre beste Freundin Anna spielt.
Eisinger: Waren es Heidelbeeren oder waren es Erdbeeren? Naja, auf jeden Fall war ich Beerenpflücken mit Laura. Mit meiner Film-Oma Barbara Schöne backte ich Kuchen. Das war sehr chaotisch und fand in Barbaras Küche statt. Mit Katja Riemann sollte ich eigentlich in den Zoo, das haben wir aber nie gemacht. Vielleicht machen wir das noch mal.
teleschau: Parallel zu „Mängelexemplar“ starteten Sie ein weiteres Projekt, das Sie gerade mit Ihrem Kollegen Fabian Joest Passamonte weiterentwickeln: die Internet-Serie „Coolness Rulebook“.
Eisinger: Das ist gerade noch im Entstehen. Ganz kurz erzählt: Es ist die Geschichte eines Liebespaares, und die Idee ist, diese Geschichte immer in zwei Versionen zu erzählen. Einmal folgt das Paar Impulsen der Angst und dann wieder Impulsen der Liebe. Es geht darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wir eigentlich leben und was eigentlich unsere treibende Kraft ist. Sich klar zu machen, dass wir von Moment zu Moment neu entscheiden können. Welchen Impulsen folge ich?
teleschau: Warum konzipieren Sie „Coolness Rulebook“ fürs Internet?
Eisinger: Weil es letztlich auch etwas Interaktives werden soll. Was wir uns vorstellen, ist irgendwann auch in den Dialog mit dem Zuschauer zu gehen, um wirklich auch Themen aufzugreifen, die die Leute berühren. Und immer auch die Frage zu stellen: „Wie würde für euch die Geschichte weitergehen?“ Es soll ein Dialog entstehen, die Serie soll wirklich das Bewusstsein wecken und schärfen. Wir wollen uns auch ganz bewusst eben nicht in irgendeinen TV-Rahmen oder so pressen lassen, sondern wir wollen wirklich etwas Freies machen.
teleschau: Die Serie soll in mehreren Ländern gedreht werden …
Eisinger: Unsere Geschichte wird uns an unterschiedliche Punkte auf der Welt bringen. Im Moment ist die Idee, nicht in Deutschland zu filmen, sondern auch sozusagen reisend zu drehen.
teleschau: In „Mängelexemplar“ geht es auch um die schönsten Plätze in Berlin, an denen man heulen kann. Was sind die schönsten Plätze auf der Welt zum Traurig- und zum Glücklichsein?
Eisinger: Ich kann am Meer sowohl heulen als auch glücklich sein. Das Meer macht mich einfach wahnsinnig emotional. Oder wenn ich auf einem Berg stehe, dann geht es mir genauso. Ich glaube, Natur im Allgemeinen hat auf mich diesen Effekt. Vor zwei Monaten war ich in Iguazú in Brasilien an ganz berühmten Wasserfällen, das war echt heftig. Da erlebte ich auch einen Mix aus höchstem Glück und anderen Gefühlen. Ja, Natur ist etwas, was mich sehr öffnet.
Stimme / Mai 2016