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Musik aus, Kerzen aus!

Filmemacherin Laura Lackmann feiert ihr Kinodebüt mit “Mängelexemplar”, der Adaption des gleichnamigen Roman-Bestsellers von Ex-MTV/VIVA-Star Sarah Kuttner. Was den Zuschauer erwartet: vor allem bemerkenswerte Frauenfiguren.

Es beginnt ganz flott und dramatisch. Fast wie in einem Actionfilm. Eine junge Frau rennt mit einem Kind, das sich auf ihrem Rücken festkrallt, durch Berlin. Das Ganze unterlegt mit fetziger Musik. An der Spree stoppt sie und wirft das niedliche kleine Mädchen kurzerhand ins Wasser. Wenig später taucht sie mit irrem Blick in einer Psychotherapie-Praxis auf und verlangt sofortige Behandlung – sie habe schließlich soeben ihr inneres Kind umgebracht! Depressionen und Panikattacken sind sicher kein Thema, das man einem Kinopublikum leicht zugänglich machen kann. Laura Lackmann entscheidet sich in ihrem durchdachten Langfilmdebüt “Mängelexemplar”, das auf dem gleichnamigen Roman von Sarah Kuttner beruht, für eine visuell einfallsreiche Mischung aus Drama und Komödie.

Glücklicherweise hat die Jung-Regisseurin auch ein paar Änderungen an den recht stereotyp angelegten Figuren der Romanvorlage vorgenommen und sehr überzeugende Darstellerinnen wie Claudia Eisinger für die wichtigsten Frauenrollen gewinnen konnte. Eisinger spielt die erwähnte junge Frau namens Karo, eine 28-jährige Event-Managerin, die zunächst ihren Job verliert, weil sie weinerlich und hysterisch ist. Das Stimmengewirr in ihrem Kopf verknotet sich daraufhin drastisch zu einer Mischung aus Selbhasstiraden und kindlichen Trotzgedanken.

Ein spontaner Besuch im Baumarkt, um neue Lampen zu besorgen, bringt leider auch keine Erleuchtung in dieser vertrackten Situation. Im Gegenteil, die schwer depressive Karo löst bei einem Verkäufer und dem Zuschauer Entsetzen über ihre Kaltherzigkeit gegenüber einem weinenden Kind aus. Das Ganze endet mit einer “523” in der Lampenabteilung, wie der Verkäufer trocken verkündet: Die sympathisch-unsympathische Karo erleidet eine Art Nervenzusammenbruch und muss von ihrem teilnahmslosen Freund abgeholt werden.

Kurz darauf findet sich Karo also mit ihrem Philipp (Christoph Letkowski), mit dem sie eigentlich nichts als Rauchen verbindet, im Bett wieder. Doch diese Beziehung wird nicht mehr lange halten. Mit ihrer besten Freundin Anna (Laura Tonke) ergeht es Karo ähnlich: Diese versucht, sich ebenfalls von ihr zu distanzieren. Tonke, die bereits in dem thematisch ähnlich gearteten Film “Hedi Schneider steckt fest” mit ihrem nuancierten Schauspiel überzeugen konnte, liefert eine berührende Darstellung als Anna, der die Ich-Bezogenheit Karos allmählich zu viel wird, da sie selbst in einer tiefen Krise steckt.

So ist es letztlich nicht nur Karo, die etwas lernen muss – nämlich sich selbst und wenn möglich auch den richtigen Mann zu lieben. Etwas streitbar ist, dass die Filmemacherin in diesem Zusammenhang ein zu hohes Loblied auf Antidepressiva singt. Karos Mutter Luzy (Katja Riemann) arbeitet daran, sich selbst zu verzeihen, dass sie nicht richtig für ihre Tochter da sein konnte, als deren Vater (Detlev Buck) sie sitzen ließ. Als Karo aufgrund von Panikattacken nicht mehr alleine sein kann, holt Luzy ihre Fürsorge in nahegehenden, zum Teil auch komischen Mutter-Tochter-Szenen nach.

Zu guter Letzt muss auch noch Oma Bille (Barbara Schöne) etwas begreifen. Nämlich, dass ein Arschtritt manchmal besser ist als eine Umarmung. Wenn dann all diese einsamen Frauen aus unterschiedlichen Generationen gemeinsam an einem Tisch sitzen, zusammen Weihnachten feiern und es einer von ihnen doch entschieden zu besinnlich wird – “Musik aus, Kerzen aus!” -, dann ist dies einer jener wahrhaften Momente, die Lackmanns Film zu einem sehenswerten Debüt machen.

Foto: (c) X-Verleih