Ewige Abgründe
Skandalautor Bret Easton Ellis legt neuen Roman „The Shards“ mit alten Mustern vor
Sex, Drogen und Mordexzesse. In den 1990ern spaltete Bret Easton Ellis mit seinem satirischen Roman „American Psycho“ die Nationen. In Deutschland stand die Geschichte um den grausamen Yuppie-Serienkiller Patrick Bateman fünf Jahre auf dem Index. Nun hat Ellis wieder einen dicken Wälzer vorgelegt, in dem es um ganz ähnliche Themen geht.
Los Angeles 1981. Der unzuverlässige Ich-Erzähler Bret Ellis (ohne Easton) ist Teil einer wohlstandsverwahrlosten Upper-Class-Clique Jugendlicher, wie man sie schon aus seinen anderen Büchern kennt. Besonders aus seinem Roman „Unter Null“, den er im Alter von 16 Jahren zu schreiben begann. In der Tat arbeitet sein literarisches Alter Ego in „The Shards“ auch gerade an eben diesem Buch. Stephen King ist das große Vorbild des jungen Autors. Dieser Bret hat eine Freundin, obwohl er schwul ist. Wenn er wieder einmal mit seiner Debbie Sex haben muss, versucht er dabei an Männer zu denken, die ihn anmachen. Undenkbar in dem Milieu in Zeiten der konservativen Reagan-Ära seine Homosexualität offen zu leben.
Die ständig zugekokste Debbie ist Tochter des ebenfalls schwulen, aber unglücklich verheirateten Filmmoguls Terry Schaffer. Auf seinen Partys tummeln sich illustre Gäste wie Mel Gibson, Jack Nicholson oder Sigourney Weaver. Bret lässt sich von dem rücksichtslosen Widerling sogar einmal zum Sex überreden, damit er ihn ein Drehbuch schreiben lässt. Daraus wird natürlich letztlich nichts.
Zur Clique auf der Buckley Highschool gehören noch die bildhübsche Schülersprecherin Susan und der beliebte, aber recht schlichte Quarterback Thom. Die beiden sind ganz klischeemäßig ein Paar. Doch im letzten Highschool-Jahr stößt ein mysteriöser Mitschüler zu ihrer Clique, der von einem ähnlichen Kaliber zu sein scheint wie der „American Psycho“.
Vierzig Jahre später sinnt der autofiktionale Bret über den attraktiven Mädchenschwarm noch einmal nach: „An jenem ersten Schultag wussten wir nichts darüber, wie seine Mutter wirklich gestorben war, oder über die Vergewaltigung seiner Stiefschwester, den Selbstmordversuch oder darüber, dass Robert Mallory die zweite Hälfte des elften Schuljahres in einer psychiatrischen Anstalt in der Nähe von Jacksonville in Texas verbracht hatte.“
Der charismatische Robert, den Bret von Anfang an für einen brandgefährlichen Lügner hält, aber dennoch begehrt, treibt tiefe Keile in die eingeschworene Clique. Gleichzeitig beginnt mit seinem Erscheinen ein bestialischer Serienmörder in ihrer Gegend sein Unwesen zu treiben. Der sogenannte Trawler ist eine makabere Parodie auf die satanischen Ritualmorde, die es in Südkalifornien in den 80er Jahren tatsächlich gab.
Der dauerbekiffte Matt, mit dem der Ich-Erzähler heimlich ein Verhältnis hatte, wird das erste Opfer aus Brets Dunstkreis. Warnung: Die Details über bestialisch zugerichtete Leichen, sowie die detailliert beschriebenen Gewaltszenen gegen Ende sind nichts für zartbesaitete Leser. Bret beginnt Robert zu beobachten, fährt ihm mal mit dem Mercedes 450 SL, mal mit dem „meerschaumgrünen Jaguar XJ6“ seiner Eltern hinterher. Die sind auf Europareise und habe ihren 17-jährigen Sohn sich weitestgehend selbst überlassen. Mehr und mehr aber überkommt den Leser der Verdacht, dass Bret – der wie seine Mitschüler ständig unter Drogen steht – unter Paranoia leidet.
Ursprünglich als Lesung für Ellis‘ Podcast mit entsprechenden Cliffhangern konzipiert, mag man das eigentümlich spannende Buch kaum aus der Hand zu legen. Fachkundig und exzessiv zitiert Ellis auch wieder einmal die Musik, die die Jugendlichen hören. Von Blondie über Elton John und The Specials bis hin zu Elvis Costello ist alles dabei. Der Roman ist eine Fundgrube an Musiktipps der 80er-Jahre und so ist es kein Wunder, dass auf Spotify eine Liste mit den knapp 150 Titeln aus dem Buch kursiert. Immer wieder taucht der kühle Song „Vienna“ von Ultravox auf, der mit der Refrainzeile „This means nothing to me“ die Verlorenheit der ständig mit Drogen zugeballerten, abgestumpften Jugendlichen auf den Punkt bringt.
Am Ende steht Bret vor dem titelgebenden Scherbenhaufen seines jungen Lebens und der Leser dieses autofiktionalen Schabernacks fragt sich womöglich, was ihn eigentlich an der Geschichte des verlogenen Brets, seiner ebenso unsympathischen Clique, ihren verdorbenen und pervers reichen Eltern und den expliziten Sex-und Gewaltszenen eigentlich so fasziniert. Das bleibt wohl das ewige Geheimnis des begnadeten Skandalautors Bret Easton Ellis, der im Grunde genommen immer wieder den gleichen Stoff variiert. Und uns so die Abgründe unser Kultur immer wieder vor Augen führt.
In: Rheinpfalz von Mai 2023
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