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Foto (c) Joel Saget / AFP

Was ist das Schlimmste, das du je getan hast?

Der Skandalautor Bret Easton Ellis liest aus seiner Langzeitstudie des Bösen

Manche Bücher lassen einen nicht los – erst recht nicht den Autor, der mit seinen Figuren einst eine intensive Zeit verbracht hat. So muss es dem schonungslosen Gegenwartsanalytiker Bret Easton Ellis ergangen sein, als er sich dazu entschloss, die narzisstischen reichen Kinder aus seinem ersten Roman „Less than Zero“ wieder auferstehen zu lassen.

25 Jahre und sechs Romane später also – dazwischen rang er sich auch den grausigen Jahrhundertroman „American Psycho“ ab, der von einem Serienkiller handelt– kehrt der forensische Stylist nun mit „Imperial Bedrooms“ zumTatort L. A. zurück. Die Titel beider Romane hat Ellis sich übrigens bei Songs von Elvis Costello ausgeborgt.

Wie auch schon zu Beginn von „Unter Null“ kehrt Ellis’ Alter Ego Clay in die Stadt der Stars und Sternchen zurück. Auf einer Party seiner alten Freundin Blair trifft der humorlose Antiheld die talentlose Schauspielerin Rain:„Blond, kerngesund, Mittlerer Westen, hundert Prozent amerikanisch“. Der Drehbuchautor verfällt ihr, verspricht Rain eine Rolle in seinem nächsten Film – als Gegenleistung verlangt er endlose Sex-Sessions auf allerlei Drogen von ihr.

Doch der paranoide Erzähler Clay wird auch von jemandem in einem blauen Jeep beobachtet, er erhält anonyme SMS-Nachrichten. Rain willigt also in seinen menschenverachtenden Deal ein und spielt seine Geliebte. Clay stört das nicht besonders. Was sein Interesse an ihr wachhält,„ist die Frage,wie es sein kann, dass sie im Film eine so schlechte Schauspielerin ist, aber in derWirklichkeit eine so gute?“ Manchmal denkt er„vollerHoffnung“, dass sie bei ihm „vielleicht nicht schauspielert“. Als sie jedoch beginnt, sich ihm zu entziehen, bröckelt seine Fassade des bemitleidenswerten, von einer schönen Frau besessenen Autors.

Und der Leser rennt wieder atemlos Ellis’ hypnoseartigen Bandwurmsätzen hinterher, versucht verzweifelt einen Sinn in der völlig ins Leere laufenden – und damit zuweilen befremdlich komischen – Kommunikation zwischen den alten Bekannten zu erkennen. Man erwischt sich dabei wie man dem thrillerartigen Aufbau des Romans auf den Leim geht, obwohl selbst der frühere Callboy und heutige Zuhälter Julian einmal vor einer solchen Konsumhaltung warnt. Warum? „Weil es sich nicht zusammen reimt. Weil sich nicht alles im dritten Akt auflöst.“

So wohnt man erneut einer todtraurigen Studie des Bösen bei. Clays Passivität, die in den Achtzigern mit „Unter Null“ begann, gipfelt in „Imperial Bedrooms“ in einer grauenvollen Missbrauchsszene, und die in die Jahre gekommene MTV-Generation, deren Gesichter nur noch schwach vom ewigen Licht ihrer Smartphones beleuchtet werden, muss sich mit den Worten des selbst ernannten Moralisten Ellis fragen: „Was ist das Schlimmste, das du je getan hast?“

Wenn American Psycho, wie jemand schrieb, „ein Schuss in das Herz der Gegenwart“ war, dann ist „Imperial Bedrooms“ eine der Sprache beraubte Foltersession, die dazu führt, zu überdenken, was von der eigenen Gegenwart in einem mehr und mehr durch fiktive Bilder aufgesaugten Leben überhaupt noch übrig ist.

Berliner Zeitung, 30.10.2010