Foto (c) Disney Enterprises
Der König der Animationsfilme
Jon Favreau wagte sich an die Verfilmung des Kultklassikers und Kassenhits „Der König der Löwen“: Gelingt es ihm, mit den allerneusten technischen Möglichkeiten einer digital verwöhnten, neuen Generation eine zeitlose Geschichte von Shakespearscher Tiefe nahezubringen?
Im Schweinsgalopp ist Disney momentan dabei, seine Zeichentrickklassiker in fotorealistische Streifen umwandeln. Allein in diesem Jahr wurden schon „Dumbo“ und „Aladdin“ einer Frischzellenkur unterzogen, und nun traut sich Jon Favreau, der 2016 mit „The Jungle Book“ bereits visuell neue Maßstäbe setzte, an den Disney-Film „Der König der Löwen“ aus dem Jahre 1994 heran – ein Film, der längst heiligen Popkultur-Status erlangte.
Natürlich fragte man sich wieder einmal im Vorfeld, ob es wirklich sinnvoll ist, einen ikonischen Kultfilm, dem die Zeit nichts anhaben konnte, noch einmal auf die Leinwand zu bringen. In den ersten Minuten der Neufassung sind solche Gedanken aber zunächst wie weggeblasen, denn es bleibt einem schlicht die Luft weg, wenn man die animierten Tiere in einer atemberaubenden Landschaft, die ebenfalls komplett aus dem Rechner stammt, zu dem neu interpretierten Klassiker „The Circle of Life“ aufmarschieren sieht. Ob in der Totalen oder in der Nahaufnahme: Man sieht jedes einzelne Haar im Fell der Tiere, das Muskelspiel ihrer Körper setzt sich perfekt in Bewegung, und jeder Lichtreflex sitzt.
Dieser atemberaubende CGI-Look setzt neue Maßstäbe. Kurzzeitig hat man gar das Gefühl, man sei im falschen Film gelandet: Ob Giraffe, Löwe oder Antilope, jedes Tier wirkt so echt, als hätte man sich in eine von Disneys Naturdokus verirrt. Wenn der weise Mandrill-Medizinmann Rafiki den neugeborenen Simba den anderen Tieren präsentiert, deutet sich aber bereits die Problematik dieses hyperrealistischen Looks an: Man findet das Löwenbaby zwar hinreißend, aber die archetypische Kraft des von Hand animierten Zeichentrickfilms, in dem Rafiki schon damals den Thronfolger mit einem Ruck dem Tiervolk präsentierte, kommt hier nicht so deutlich zum Tragen wie einst.
Schon bald stellt man zudem fest, dass sich Regisseur Favreau fast sklavisch an das Original hält, was besonders im ersten Akt unangenehm auffällt. Schließlich fußt die besondere Beziehung zwischen dem derzeitigen König der Löwen Mufasa und seinem übermütigen Sohn Simba auf einer breiten Emotions-Palette, die man mit Computeranimationen einfach nicht sichtbar machen kann: Vermeintlich echten Löwen steht gegenüber ihren Zeichentrick-Kollegen eben nur eine begrenzte Mimik zur Verfügung!
Anfangs hat man schon Mühe genug, zu akzeptieren, dass die Tiere ihren Mund bewegen, um zu reden – obwohl der herausragende Sprecher-Cast alles gibt, um nicht sichtbare Emotionen verbal zu vermitteln (im Original leihen unter anderem Beyoncé, Donald Glover und Seth Rogen den Tieren ihre Stimmen; in der deutschen Fassung standen routinierte Synchronsprecher hinter dem Mikrofon). Besonders auffällig wird die Schwäche in der Darstellung der tierischen Gefühle in jener Szene, in der der als Thronfolger übergangene, bösartig-intrigante Bruder Scar seinen Vater Mufasa umbringt und der kleine Löwe Simba Zeuge der grausamen Tat wird. Sein bodenloses Entsetzen über diese Tatsache wird, verglichen mit dem Original, hier schlichtweg nicht sichtbar.
Deutlich gelungener ist der zweite Akt der Neuverfilmung, wenn der von Schuldgefühlen geplagte Simba flieht und von dem Warzenschwein Pumbaa und dem Erdmännchen Timon aufgenommen wird. Diese beiden Anarchisten sind derart großartig animiert, behutsam modernisiert und mit schärferem Humor ausgestattet worden, dass man sich fast ein Spin-off mit den Verfechtern der „Hakuna Matata“-Lebensweise wünscht.
Ein Gänsehaut-Moment ist dann auch jene Szene, in der die Löwendame Nala auf der Suche nach Hilfe ihren Jugendfreund Simba zufällig wiederfindet. Sie setzt den vor seiner Verantwortung geflohenen Löwen davon in Kenntnis, dass Scar inzwischen mit den Hyänen die Regentschaft übernommen und das Land heruntergewirtschaftet hat. Wenn die beiden füreinander bestimmten Löwen – hauptsächlich in der Totalen, in der der Film immer funktioniert – umhertollen und wieder Elton Johns Song „Can You Feel the Love Tonight?“ interpretieren, blitzt der Zauber des Originals erneut auf. Beyoncé gibt dann auf dem Weg heim ins Königreich noch den neuen Song „Spirit“ zum Besten, von dem man sicher bei den nächsten Oscar-Verleihungen hören wird.
Insgesamt ist dieser sichtlich düsterer geratene, aktuelle König der Animationsfilme durchaus sehenswert – je größer die Leinwand, desto besser. Von der typischen Disney-Magie des Originalfilms, die sich seinerzeit für immer in Abermillionen Herzen festkrallte, geht aber viel verloren. Es bleibt die etwas ernüchternde Erkenntnis: Gefühle lassen sich nicht am Computer errechnen.