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Foto (c) Detailfilm / Johannes Louis

Die Seele Berlins

Im Kino: Das Großstadtmärchen “Cleo” erzählt von einer Frau, die die Vergangenheit ändern will.

“Stapf durch die Kotze am Kotti, Junks sind benebelt, Atzen rotzen in die Gegend, benehmen sich daneben …«: Einige der eher hässlichen Seiten Berlins sind in Peter Fox’ Hit »Schwarz zu Blau« schon recht treffend beschrieben worden. Nun macht sich der Wahlberliner und gefeierte Kurzfilmregisseur Eric Schmitt in seinem Langfilmdebüt, dem Großstadtmärchen »Cleo«, daran, die fabelhaften Seiten der Stadt bzw. deren »Seele« zu erkunden.

Mit kindlicher Unschuld und originellen filmischen Mitteln, in der Tradition von Jean-Pierre Jeunet und Michel Gondry, schickt er seine titelgebende Hauptfigur Cleo auf Schatzsuche durch die ambivalente Metropole.

In der zauberhaften und visuell eindrucksvollen ersten halben Stunde des Films, der auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere feierte, lernt man die kleine Cleo (Gwendolyn Göbel) kennen, deren Mutter bei ihrer Geburt starb. Das fantasievolle Kind, das mit den in körnigem Schwarz-Weiß flackernden Geistern der Stadt zu sprechen vermag, wächst bei seinem liebevollen Vater auf. Die imaginären Freunde Einstein und Max Planck erzählen Cleo von einer geheimnisvollen Uhr, mit der man die Zeit zurückdrehen kann. Also überredet Cleo ihren Vater, mit ihr auf Schatzsuche zu gehen. Diese endet jedoch in einer schrecklichen Tragödie. Plötzlich verwaist, verschließt Cleo in der Folge ihr Herz, um noch mehr Schmerz zu vermeiden.

Zwanzig Jahre später lernt die kontaktscheue rothaarige Cleo (Marleen Lohse) durch Zufall den charmanten Fremden Paul (Jeremy Mockridge) kennen, der im Besitz einer Schatzkarte der Gebrüder Sass ist. Diese Berliner Edelganoven haben der Legende nach 1929 bei einem spektakulären Bankraub auch die magische Uhr an sich gebracht. Cleo, die unbedingt die Vergangenheit ändern und ihre Eltern wieder lebendig machen will, begibt sich also mit Paul auf eine schnitzeljagdartige Schatzsuche quer durch Berlin.

Die recht einfache Geschichte, die Schmitt gemeinsam mit Stefanie Ren ersonnen hat, ist nur der Vorwand für ein Feuerwerk an visuellen Einfällen, die von Kameramann Johannes Louis in eine bunte Berlin-Szenerie eingebunden werden. Animierte Sequenzen wechseln sich ab mit Stop-Motion-Tricks, optischen Illusionen und vielen anderen Stilmitteln, die bei nicht wenigen Zuschauern – egal welchen Alters – kindliche Freude auslösen dürften.

Liebevoll gezeichnet sind auch etliche berlintypische Nebenfiguren, wie eine fanatische Wachschutzfrau, die Ganoven Günni (Heiko Pinkowski) und Zille (Max Mauff) sowie ein Totengräber mit original Berliner Schnauze.

Nebenbei erfährt man in diesem für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich verspielten Film auch noch ein wenig über die Geschichte der Hauptstadt und deren berühmte Persönlichkeiten. Schade nur, dass unter diesen die Frauen (Marlene Dietrich und die Nackttänzerin Anita Berber) nur dem Unterhaltungssektor entstammen – im Gegensatz zu den Männern. Fabelhaft wäre es gewesen, wenn der Regisseur beispielsweise auch Frauen wie die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die Erfinderin der Currywurst, Herta Heuwer, oder Rosa Luxemburg einem breiten Publikum etwas nähergebracht hätte.

“Cleo” in nd von Juli 2019