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Foto (c) Alamode Film

Wasser in der Wüste

Ü50-Sehnsuchtsfilm ohne Weichzeichner: Das ist das Geheimnis von „Gloria“.

Regisseur Sebastían Lelio ist heute 42 Jahre alt. Seine titelgebende Hauptfigur „Gloria“ ist 58. Umso erstaunlicher, dass es diesem relativ jungen Regisseur mit seinem vierten Spielfilm (2012) gelang, diese ältere Frau aus Santiago de Chile so zum Leben zu erwecken, dass der Zuschauer gebannt ihr Schicksal verfolgt. Gemeinsam mit Kameramann Benjamín Echazarreta, dessen Kamera von Gloria wie magisch angezogen scheint, gibt er ihr den Raum, den sie braucht, um sämtliche Vorurteile, die dem Zuschauer bei der durchaus zutreffenden Kurzzusammenfassung „ältere Frau lässt sich nicht unterkriegen“ in den Sinn kommen, zu umtanzen. Der Film „Gloria“ ergatterte verdient drei Preise bei der Berlinale 2013, darunter den Silbernen Bären für Hauptdarstellerin Paulina García.

Gloria wird von der außerhalb Chiles kaum bekannten, vielschichtigen Paulina García gespielt, die diese Figur der älteren Dame wunderbar mit Leben füllt. Der erste ernsthafte Liebhaber der seit ein paar Jahren geschiedenen Gloria muss erst einmal seinen Bauchgurt ausziehen, mit dem er sein schlaffes Fleisch zusammenpresst, bevor er zur Sache kommen kann. So ist das eben im Alter.

Interessiert und zunehmend eingenommen von der Persönlichkeit der Frau mit den riesigen Brillengläsern, verfolgt man den Fortgang der Affäre, die auf einem Tanztreff für Singles begann: Im Gegensatz zu Gloria, die – trotz aller Einsamkeit und Unsicherheit – anstrebt, auch jenseits der 50 ihr Leben ohne Altersdepression zu leben, ist ihr Liebhaber Rodolfo (Sergio Hernández) ein Weichei. Gegenüber Gloria beteuert er zwar, dass er von seiner Frau getrennt sei, aber er schafft es nicht wirklich, sich von seiner Ex und seinen erschreckend unselbstständigen, erwachsenen Töchtern zu lösen. Immer wieder stören belanglose Anrufe seiner Familie ihre kostbaren Momente der Nähe.

Gloria dagegen hat die Abnabelung von Kindern und Exmann fast zu gut hinbekommen. Infolgedessen scheint die Einzige, die sie dann letztlich noch zu brauchen scheint, eine ausnehmend hässliche Nacktkatze zu sein, um die sich der psychopathische junge Mann, der über ihr wohnt, offensichtlich nicht richtig kümmert. Doch Gloria wäre nicht die Gloria, die gegen Ende des Films ausgelassen zu der Italopopnummer „Gloria“ von Umberto Tozzi, tanzt, wenn sie sich nicht ein Stück mehr Optimismus und Lebensfreude zurückerkämpfen würde.

So bleibt dieser Beinahe-Einpersonenfilm trotz einiger Längen und ein wenig aufgesetzt wirkender Szenen, die auf die Pinochet-Vergangenheit Chiles anspielen, ein erfrischend authentisches Stück Arthouse-Kino. Diese Gloria ist tatsächlich wie „Wasser in der Wüste“ – wie es in dem Song der Italo-Schmonzette aus dem Jahre 1979 lautet.

TV-Tipp in Stimme 2013