Foto (c) 2013 Eva Kees
Der Mann, der Sex in eine Box packte
Sexguru, Visionär, Scharlatan oder Wunderheiler? Antonin Svobodas Film „Der Fall Wilhelm Reich“ versucht eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben.
Ich träume immer noch von Orgonon“ sang Kate Bush in ihrem Song „Cloudbuster“, der von der engen Beziehung des Wissenschaftlers Wilhelm Reich zu seinem Sohn Peter handelt. Terry Gilliam drehte 1985 das Musikvideo zu dem hypnotischen Song, Donald Sutherland spielte darin den „Mann, der Sex in eine Box packte“ – wie es zu Reichs Lebzeiten in einem von vielen hetzerischen Zeitungsartikeln hieß. In Antonin Svobodas Film „Der Fall Wilhelm Reich“ verkörpert nun der Ausnahmeschauspieler Klaus Maria Brandauer, der von jeher einen Faible für schwierige Charakterstudien hatte, den umstrittenen Querdenker.
Dem österreichischen Filmemacher Svoboda, der bereits im Jahr 2009 den Dokumentarfilm „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“ drehte, scheint es ein dringendes Anliegen zu sein, den von den Hippies zum Vater der sexuellen Revolution erkorenen Menschenfreund dem schleichenden Vergessen zu entreißen. Dafür garantiert auch schon die prominente Besetzung: In wichtigen Nebenrollen sind unter anderem Julia Jentsch als Reichs Tochter Eva, Birgit Minichmayr als Spitzel Aurora und Gary Lewis als menschenverachtender Leiter der amerikanischen Psychiatervereinigung zu sehen.
Der Film beschäftigt sich im Gegensatz zu Svobodas TV-Doku vornehmlich mit den letzten Jahren Wilhelm Reichs. Zu der Zeit forschte Reich hauptsächlich über die Orgon-Energie, von der es im Film einmal heißt, sie sei mit der bei den Chinesen bekannten Lebensenergie des „Chi“ zu vergleichen.
Der vor den Nazis geflohene Meisterschüler Freuds, der jedoch von dem Entdecker der „Libido“ und der Psychologen-Zunft verstoßen wurde, wird im Amerika der McCarthy-Ära ebenfalls rasch von der Pharmaindustrie, der Gesundheitsbehörde und der Atomenergiebehörde mit Argusaugen betrachtet. Kein Wunder, denn der unbelehrbare Menschenfreund und Krebsforscher ist einer der Ersten, der den Menschen als ganzheitliches und vor allen Dingen eigenständiges Individuum sieht. Zudem ist er davon überzeugt, dass der freie Fluss der von ihm entdeckten Orgon-Energie, an deren Existenz sich noch heute die Geister scheiden, entscheidend für die physische und geistige Gesundheit der Menschen sei.
Zu diesem Zweck konstruierte er die vielfach belächelten Orgon-Akkumulatoren, recht ungemütlich wirkende Holzkisten, in denen die Patienten ihre Lebensenergie salopp gesagt wieder in Schwung bringen sollen. Im Film heilt er ein Farmer-Ehepaar mit dieser Methode von Unfruchtbarkeit. Dennoch zwingen ihn die recht klischeehaft dargestellten Schergen des McCarthy-Regimes seine Orgon-Akkumulatoren und Bücher zu verbrennen. Wegen Missachtung gerichtlicher Anordnungen wurde Reich 1956 zu zwei Jahren Gefängnis verdonnert. Kurz vor seiner Entlassung stirbt er an Herzversagen. Da jedoch nie eine Autopsie durchgeführt wurde, wie es im Abspann der Films heißt, bleibt natürlich Raum für Spekulationen.
Leider gelingt es dem Regisseur nicht, den von ihm ganz offensichtlich verehrten, radikalen Querdenker Wilhelm Reich und seine Lehren einem größeren Publikum wirklich nahezubringen. Der Film springt zwischen den Jahren und den Schauplätzen hin und her, Reichs Gegner werden zu Schwarz-Weiß gezeichnet und die Konflikte, die Reich sowohl im Privaten als auch als Wissenschaftler auszutragen hatte, werden nur allzu oberflächlich angerissen. So bleibt dem interessierten Zuschauer nach der Vorstellung nur eines übrig: Mit Reichs wegweisendem Buch „Die Funktion des Orgasmus“ im Schoß noch ein wenig selbstständig von Orgonon zu träumen …