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Foto (c) Pandora Film Verleih

Zwischen zwei Welten

„Spring!“, befiehlt der seine Tochter eigentlich über alles liebende pakistanische Vater dem zutiefst verstörten jungen Mädchen vor einem Abgrund. Selten hat man in einem Film eine so schockierende Vater-Tochter-Szene erlebt, wie in dem Familiendrama „Was werden die Leute sagen“. Der zweite Film der vielversprechenden iranisch-norwegischen Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Iram Haq („I Am Yours“) erzählt auf kluge Weise von dem grauenvollen Dilemma einer pakistanischen Migrantenfamilie, die die Kluft zwischen ihrer neuen Kultur in Norwegen und den patriarchalen Traditionen ihres Herkunftslandes nicht zu überwinden vermag und deshalb sehenden Auges das Leben ihrer Tochter zerstört.

Nisha (gespielt von der fantastischen, 17-jährigen Schauspieldebütantin Maria Mozhdah) lebt ein Doppelleben: Außerhalb ihres Zuhauses in Oslo benimmt sie sich wie ein ganz normaler norwegischer Teenager, tanzt, flirtet, trinkt Alkohol. Doch daheim muss sie sich den Regeln der strengen Traditionen ihrer Eltern beugen, die sehr darauf achten, was die Leute in ihrer pakistanischen Gemeinde von ihnen halten. Dennoch bekommt Nisha diesen Spagat ganz gut hin, hat ein liebevolles Verhältnis zu ihrem hart arbeitenden Vater Mirza (großartig: Adil Hussain, bekannt aus „Schiffbruch mit Tiger“), der sehr stolz auf die ausgezeichnete Schülerin ist.

Eines Tages erwischt er Nisha mit ihrem Freund in einer missverständlichen Situation in ihrem Zimmer und rastet aus. Der Vater schlägt die Tochter und ihren Freund zusammen. Ein Nachbar ruft die Polizei. Damit ist der Ruf der Familie beschädigt – die pakistanische Gemeinde verlangt eine strenge Strafe zur Abschreckung. Bis dahin ist man der sympathischen Protagonistin schon sehr nahe gekommen und bangt um jede weitere Eskalation in dieser komplizierten Familiendynamik. Die vollkommen unschuldige Nisha bekommt keine Gelegenheit, sich zu rechtfertigen, denn für die fundamentalistischen Eltern zählt sowieso nicht die Wahrheit, sondern allein Nishas Ruf.

Man spürt in jeder tiefgründigen Einstellung, dass die Regisseurin weiß, wovon sie erzählt. Sie wurde im Alter von 14 Jahren von ihren eigenen Eltern verschleppt und musste für eineinhalb Jahre in Pakistan bei ihren Verwandten leben. So ergeht es auch der völlig verstörten Nisha, die vom Vater bei dessen Familie, in einem weit von Islamabad entfernten Dorf, abgeliefert wird. Dort soll sie lernen, sich unterzuordnen. Nach einigen Fluchtversuchen, woraufhin der Onkel schließlich ihren Pass verbrennt und sie einsperrt, fügt sie sich so gut es geht in ihre neue Situation – in einem Land, in dem Frauen traditionsgemäß unterdrückt werden.

Als das einsame Mädchen mit ihrem Cousin einen heimlichen Kuss austauscht, wird sie von der korrupten pakistanischen Polizei erwischt und unvorstellbar gedemütigt. Nun hat sie auch noch Schande über das Haus ihrer Verwandten gebracht und darf dort nicht mehr bleiben. Zurück in Norwegen geht das Martyrium des Mädchens, dass sich nichts sehnlicher wünscht, als sich mit den Eltern zu versöhnen, weiter. Und sie sieht sich gezwungen, eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen.

Haqs schonungsloses Drama, das mutig darauf pfeift, was wohl einige ihrer Landsmänner dazu sagen werden, verkommt dank ihrer persönlichen Betroffenheit nie zu einer plumpen und gefährlichen Verurteilung einer anderen Kultur. Stattdessen zeigt es unverblümt, was patriarchale Traditionen für verheerende Schäden anrichten können – sowohl bei den Opfern als auch den Tätern.

Mittelbayerische / April 2018