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Foto: 2013 Prokino Filmverleih GmbH

Unentwirrbares Alterswerk

 

Roman Polanskis durchtriebener Regiestreich „Venus im Pelz“ eröffnet mit einer zielstrebigen Kamerafahrt durch den abendlichen Regen direkt in ein heruntergekommenes Pariser Theater. Dort trifft der Zuschauer auf den Regiedebütanten Thomas (Mathieu Amalric), der den ganzen Tag lang verzweifelt versucht hat, die weibliche Hauptrolle des titelgebenden Stücks „Venus im Pelz“ zu besetzen. Doch alle potenziellen Domina-Darstellerinnen, die Thomas vorsprechen ließ, sprachen wie „zehnjährige Frauen im Heliumrausch“ und konnten allesamt nicht einmal das Wort „unentwirrbar“ fehlerfrei über die Lippen bringen. Unentwirrbar wird die Situation nun auch rasant für den Regisseur und den Zuschauer, als völlig verspätet noch eine Frau zum Vorsprechen erscheint …

Die ordinär und ungebildet wirkende Dame, die von Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner („Schmetterling und Taucherglocke“) verkörpert wird, überredet kaugummikauend den Regisseur, der verblüffende Ähnlichkeit mit Roman Polanski in jüngeren Jahren aufweist, mit ihr doch noch einen Probedurchlauf zu machen. Als die Dame, die zufällig auch noch denselben Vornamen wie die zu besetzende Hauptrolle Vanda von Dunajew trägt, ihr mitgebrachtes Kostüm übergestreift und eigenmächtig das Licht auf der Bühne verändert hat, werden Thomas und das Kinopublikum gleichermaßen von der ungeheuren Wandlungsfähigkeit dieser Person überwältigt.

Ein beginnt ein selbstironisches (Macht-)Spiel zwischen dem Regisseur und der Schauspielerin, das aufgrund unterschiedlichster Realitätsebenen und wiederholter Identitätswechsel beim einmaligen Sehen kaum zu erfassen ist, aber dennoch königlich amüsiert. Der Zweipersonen-Film beruht auf dem Broadway-Erfolgsstück „Venus in Fur“ von David Ives, der wiederum Leopold Sacher-Masochs gleichnamigen Skandalroman aus dem Jahre „Achtzehnhundert-schlag-mich-tot“, wie Vanda einmal provozierend bemerkt, bearbeitet hat. Dieser Text inspirierte nicht nur Velvet Underground, sondern gab auch dem Masochismus seinen Namen.

 

Auch Thomas, den Vanda geschickt zu ihrem Stichwortgeber macht, scheint dieser besonderen Form der sexuellen Neigung insgeheim zugetan zu sein, auch wenn er es zunächst vehement bestreitet. Bebend lässt Polanski ihn von seiner pelzaffinen Tante erzählen, die ihn als Kind vor den Bediensteten auf den nackten Po mit einer Birkenrute schlug.

In einer der vielen Szenen, die diebische Freude bereiten, weil sich die üblichen Machtverhältnisse allmählich umkehren, behauptet das entfesselte Weib Vanda, die das Stück verächtlich als einen Sado-Maso-Porno abtut: Würde ein Kritiker behaupten, der Regisseur wäre gleichzusetzen mit seiner unterwürfigen Figur des Herrn von Kusiemski – so würde er ihn sicher umbringen. Natürlich kommen dem Zuschauer in diesem Zusammenhang sogleich wieder die in einem langen Künstlerleben ausgelebten filmischen Obsessionen Polanskis in den Sinn.

Man darf also auf das Bonus-Making-Of-Material der DVD gespannt sein. Vorläufig kann man sozusagen nur die Strapse ziehen vor einem vielschichtigen psychologischen Feuerwerk von einem Kammerspiel, dass mittels der Transformation von Vanda und Thomas der verlogenen, sexistischen Welt einen Spiegel vorhält. Einen Spiegel, in den auch der mittlerweile 80-jährige, von einem Missbrauchskandal verfolgte Polanski selbst zu blicken gewagt hat.

Gabriele Summen

„Venus im Pelz“ in Movie Magazin von November 2013