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Pub Fiction

Das Sozialdrama als modernes Märchen: Eine heruntergekommene Kneipe in einer ehemaligen Bergarbeiterstadt im Nordosten Englands ist der Schauplatz von Ken Loachs neuem Film »The Old Oak«. Dort treffen syrische Flüchtlinge und Einheimische aufeinander – und selbst Rassisten werden geläutert.

Politik sei »die Essenz des Dramas, die Essenz des Konflikts«, betont Ken Loach, der unermüdliche Anwalt des sozialkritischen Films, in der sehenswerten Doku »Das Kino des Ken Loach« (2016). Loach ist mittlerweile 86 Jahre alt und wollte eigentlich bereits 2014, nach dem Abschluss des Historiendramas »Jimmy’s Hall« über den irischen Kommunistenführer James Gralton, mit dem Filmemachen aufhören. Doch die sozialen Missstände in Großbritannien lassen ihm offensichtlich keine Ruhe.

So drehte er 2016 doch noch einen weiteren Film, »Ich, Daniel Blake«, der als sein definitiv letzter angekündigt wurde. Das Drama, das sich um die Misere des britischen Sozialsystems dreht, löste eine Diskussion über die Austeritätspolitik in Großbritannien aus – immerhin. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatte er mit dem Dokudrama »Cathy Come Home« auf die Situation wohnungsloser Familien aufmerksam gemacht. Der Film führte damals dazu, dass fortan obdachlose Väter mit ihren Frauen und Kindern in Wohnheimen übernachten durften und nicht mehr, wie es das Gesetz bis dato vorsah, voneinander getrennt wurden.

Eine Familie steht auch im Mittelpunkt von »Sorry We Missed You« (2019), einem herzzerreißendes Sozialdrama über die Opfer der Gig-Ökonomie. Sein womöglich wirklich letztes Werk, »The Old Oak«, der wie viele seiner Filme im Nordosten Großbritanniens spielt, beschäftigt sich mit den Folgen der fremdenfeindlichen Einwanderungspolitik der konservativen Regierung.

Eines Tages wird ein Bus voller syrischer Kriegsflüchtlinge in dieser von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geprägten Gegend abgeladen. Die Stimmung ist feindselig, die Einheimischen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Fruchtbarer Boden für Ausländerhass und Rechtsextremismus, nicht nur in England.

»Wir alle suchen nach einem Sündenbock, wenn das Leben aus den Fugen gerät«, meint TJ Ballantyne, Besitzer der titelgebenden Kneipe. TJ wird einnehmend von Dave Turner verkörpert, der in den vorigen beiden Filmen von Loach bereits in Nebenrollen zu sehen war. Wie die meisten Darsteller in Loachs Filmen ist auch er kein ausgebildeter Schauspieler.

2016, Easington, eine ehemalige Bergarbeiterstadt in der Grafschaft Durham. Viele sind arbeitslos, die Häuser, die die ehemaligen Grubenarbeiter als Alterssicherung gekauft haben, werden zu Ramschpreisen verhökert, manche Familien haben nicht einmal genug zu essen. Ihre Zukunftsaussichten sind also äußerst schlecht. Verhältnisse, die wechselnde konservative Regierungen jahrelang tunlichst ignoriert haben.

Der Anfang des Films ist vielversprechend: Eines Tages wird ein Bus voller syrischer Kriegsflüchtlinge in dieser von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geprägten Gegend abgeladen. Unter den Ankömmlingen ist auch Yara, ausdrucksstark verkörpert von der syrischen Schauspiellehrerin Ebla Mari. Yaras Vater wurde vom Assad-Regime verhaftet, nun muss sich die junge Frau, die leidenschaftlich gern fotografiert, mit ihrer Mutter und ihren drei Geschwistern in der neuen Umgebung zurechtfinden. Die Stimmung ist feindselig, die Einheimischen fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Fruchtbarer Boden für Ausländerhass und Rechtsextremismus, nicht nur in England.

Doch Yara, die im Flüchtlingslager Englisch gelernt hat, und TJ freunden sich zaghaft miteinander an. Die Stammgäste der Old Oak, des einzig verbliebenen Pubs im Ort, regen sich darüber auf. Nicht zuletzt befeuern Hasstiraden in den sozialen Medien die Stimmung gegen die Migranten. Auch TJs alter Kumpel Charlie (Trevor Fox), dessen Vater in derselben Mine gearbeitet hat wie der Vater von TJ, verübelt dem Freund die Toleranz, mit der dieser den Flüchtlingen begegnet.

Der verbitterte Charlie, dessen Ehefrau nach schwerer Krankheit im Rollstuhl sitzt, findet, dass die Lebensumstände in der verarmten Region schon prekär genug seien. Er möchte eine Versammlung einberufen, um über die Zumutung der Aufnahme syrischer Flüchtlinge zu diskutieren. Das seit Jahrzehnten gesperrte Hinterzimmer von TJs Pub soll zum Treffpunkt für die Einheimischen werden. TJ, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer und vom Leben gebeutelter Idealist, der die Solidarität aller Gebeutelten weiterhin hochhält, verweigert es ihm.

Doch wenig später erlaubt er Yara, in dem ungenutzten Raum eine Gemeinschaftsküche für Syrer und Einheimische einzurichten. Die aufgeschlossene junge Frau hat sich von den zahlreichen Fotografien inspirieren lassen, die an die großartige Solidarität unter den Bergarbeitern beim Streik von 1984/1985 erinnern. Besonders eine Bildunterschrift hat es ihr angetan: »Wenn man zusammen isst, dann hält man zusammen.«

Die Kantine ist anfangs ein großer Erfolg und lässt die Gemeindemitglieder zusammenrücken. Damit hat TJ es sich aber endgültig mit seinem ehemals besten Freund verscherzt. Charlie wird daraufhin eine große Dummheit begehen. So weit, so spannend. Der Film lebt nicht zuletzt von vielen Laienschau­spieler:innen, die sich weitgehend selbst spielen, und der beinahe dokumentarischen Kamera von Robbie Ryan.

Doch Subtilität war noch nie Loachs Stärke. Im weiteren Verlauf der Geschichte geht er ein paar Schritte zu weit. Die Handlung, die Loach und sein Stammdrehbuchautor Paul Laverty ersonnen haben, ist viel zu vorhersehbar, manchmal unangenehm didaktisch oder rührselig.

Die Handlung, die Loach und sein Stammdrehbuchautor Paul Laverty ersonnen haben, ist viel zu vorhersehbar, manchmal unangenehm didaktisch oder rührselig.

So streifen TJs rassistische Stammgäste, bis auf wenige Unverbesserliche, ihre Ressentiments einfach ab und besinnen sich auf die gelebten Werte von Solidarität und Humanismus. Das ist nicht nur zu schön, um wahr zu sein, sondern verniedlicht auch die Probleme. Stellenweise fühlt man sich unangenehm manipuliert, obwohl man doch die antirassistische Haltung teilt.

Zu allem Überfluss ist da noch die herzzerreißende Geschichte von TJs winzigem Hund, deren traurigen Verlauf man auch von Anfang an erahnt. Dabei hat TJ als geschiedener Mann, als Vater, der von seinem Sohn nicht mehr angeguckt wird, als von der Pleite bedrohter Kneipier und als Überlebender eines Selbstmordversuchs schon längst genug Hintergrund angedichtet bekommen.

So ist der pathetische Schluss des Films nur schwer zu akzeptieren – es sei denn, man versteht »The Old Oak« als ein modernes Märchens, erzählt von einem Regisseur, dessen Herz immer noch für die Ausgebeuteten dieser Welt schlägt. Doch eigentlich steckt schon in den Worten von TJs Vater der Plot für einen wesentlich gehaltvolleren Film: »Wenn die Arbeiter die Macht erkennen würden, die sie haben, und das Selbstvertrauen hätten, sie zu nutzen, könnten sie die Welt verändern. Aber wir haben es nie getan.«

Die Frage nach dem Warum nicht nur klischeehaft abzuhandeln und vor allen Dingen nicht sentimental auf einfache Lösungen zu verfallen, wäre eine spannende Aufgabe für Regisseur:innen des sozialrealistischen Kinos, die hoffentlich auf Loach folgen werden. Bleibt nur zu hoffen, dass sie keine Anhänger der israelfeindlichen BDS-Bewgung sein werden, wi unverständlicherweise dieser humane Werte predigende Regisseur.  

Foto (c) Wild Bunch Germany 

„The Old Oak“ in Jungle World Nov. ’23