Die berühmteste Nebenfigur
Sofia Coppola erzählt in ihrem Biopic über Priscilla Presley, wie es sich anfühlt, in einer patriarchalen Gesellschaft erwachsen zu werden
Das Leben von Frauen im goldenen Käfig, ihre Einsamkeit und Isolation sowie ihr Ringen um eine eigene Identität auf die Leinwand zu bannen, gehört zu den Stoffen, denen sich Sofia Coppola gerne widmet. Sicher kann die Tochter des weltberühmten Regisseurs Francis Ford Coppola bestimmte Aspekte der inneren Not ihrer Filmheldinnen gut nachvollziehen.
In »Lost in Translation« kommt beispielsweise eine Studentin in einem Tokioer Luxushotel ins Grübeln über ihre Ehe mit einem angesagten Szenefotografen. In Coppolas Historiendrama »Marie Antoinette« wiederum frönt die mit 14 Jahren verheiratete Erzherzogin im Schloss von Versailles hauptsächlich dem luxuriösen Nichtstun, bevor sie durch die Guillotine Bekanntschaft mit der Realität macht.
So war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Coppola Priscilla Presleys bereits 1985 erschienenen Bestseller »Elvis and Me« verfilmen würde. Darin schildert Elvis’ ehemalige »Kinderbraut«, wie sie sich in einen der begehrtesten Männer der Welt verliebte und recht bald zu ihm nach Graceland zog. Doch während der King in die Welt hinauszog und zahlreiche Affären hatte, war die 16-Jährige auf seinem Anwesen zu einem bitter einsamen Leben verdammt. Steilvorlage für Coppola.
Es ist das Jahr 1959. Die 14 Jahre alte Priscilla, die überzeugend von der bereits 25 Jahre alten Cailee Spaeny verkörpert wird, langweilt sich am Tresen einer Snackbar in einem Armeegelände in Wiesbaden. Während sie an ihrem Strohalm nuckelt, läuft passenderweise eine Coverversion von Frankie Avalons »Venus« – eingespielt von Phoenix, der Band von Coppolas Ehemann Thomas Mars. Elvis-Lieder bekommt man im Film dagegen nicht zu hören, dafür gab es keine Genehmigung. Aus dieser Not machen Mars und Coppola aber eine hörenswerte Tugend.
Ein Mann spricht Priscilla an und lädt sie für den Abend zu einer Party in Elvis’ Haus ein. Blutjunge Mädchen älteren Herren zuzuführen, hat in Deutschland augenscheinlich eine lange, widerliche Tradition. Elvis leistet auf der Airbase seinen Militärdienst ab – ebenso wie Priscillas Stiefvater. Nach einigem Zögern erlauben die Eltern ihr, die Einladung anzunehmen.
Die aufgeregte Priscilla ist hin und weg, als der zehn Jahre ältere Elvis mit ihr flirtet. Er vertraut ihr, der Neuntklässlerin, sogar an, wie sehr er seine kürzlich verstorbene Mutter vermisst! Es geht unter die Haut, wie Spaeny die romantisch verklärte Verliebtheit des introvertierten Mädchens spielt. Und dann der erste Kuss mit dem weltweit vergötterten Sexsymbol! Der wird von Coppola genial mit dem schmachtenden Song »Crimson and Clover« von Tommy James und The Shondells unterlegt.
Elvis wird von Jacob Elordi verkörpert, der viel glaubwürdiger ist als King-Imitator Austin Butler in Baz Luhrmanns »Elvis«-Film. Priscilla huscht in Luhrmanns Biopic lediglich ein paar Mal durch das Bild – dass sie da noch eine Teenagerin ist, sieht man ihr nicht an und es wird auch nicht thematisiert. Coppola macht die in Wahrheit damals minderjährige Priscilla zur Hauptfigur. Einfühlsam erzählt sie, wie es sich eigentlich anfühlt, in einer patriarchalen Gesellschaft, abgeschnitten von der Außenwelt, auf einem luxuriösen Anwesen erwachsen zu werden. Setdesign, Kostüm und Maske erwecken den Graceland-Käfig atemberaubend zum Leben.
Coppolas Elvis ist ein Narzisst, der mit seinem Kontrollwahn seine junge Ehefrau terrorisiert. Er verbietet ihr, einen Job anzunehmen. Einmal flippt er bei einer gemeinsamen Kissenschlacht aus, als Priscilla »zu männlich« agiert. Ein anderes Mal wirft Elvis ihr einen Stuhl an den Kopf, weil sie zaghaft ihre Meinung geäußert hat. Auch ihre Haarfarbe und ihr düsteres Augen-Make-Up diktiert er ihr. So tut es in der Seele weh, als man später mitansehen muss, wie sie vor der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter, als ihre Wehen bereits eingesetzt haben, erst einmal brav die spinnenartigen Wimpern einsetzt. Zu ihrem Kummer schläft Elvis außerdem kaum mit seiner »Cilla«, scheint einen Madonna-Hure-Komplex zu haben. Und dann zieht der Hausherr mit seiner Entourage immer wieder los zu Filmdrehs, Tourneen und Affären – Priscillas zum Abschied gehauchtes »Ich liebe dich« bleibt stets unerwidert. Ist ihr Göttergatte mal zu Hause, nimmt er sie manchmal zu ausschweifenden Parties mit. Damit sie am nächsten Tag in der katholischen Mädchenschule in Memphis nicht einschläft, versorgt er sie mit Pillen, von denen er selbst längst abhängig ist.
Die Zuschauer*innen erleben all dies aus Priscillas verklärter Innenperspektive, die ganz allmählich bröckelt. Es ist schwer erträglich mitanzuschauen, dass niemand dem mißbräuchlichen Verhalten ihres Ehemanns ein Ende setzt.
Zu Dolly Partons »I Will Always Love You«, das Elvis für seine Ex wohl direkt nach der Scheidung gesungen hat, verlässt Priscilla nach 13 Jahren endlich ihren Mann und Graceland. Hier endet der Film leider zu abrupt. Gern hätte man noch ein wenig von Priscillas Leben danach gesehen. Durch diese Regieentscheidung bleibt sie am Ende doch wieder nur eine Nebenfigur im Leben von Elvis – den sie unverständlicherweise immer noch liebt.
„Priscilla“ in nd von Jan. 2024