Foto (c) Mark Uriona
Wenn das Wasser zum Feind wird
Der Dokumentarfilm »One Word« erzählt von den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Republik der Marshallinseln und ihre Bevölkerung
Zurzeit haben nur noch wichtige menschliche Begegnungsstätten wie Autohäuser und Einkaufszentren geöffnet, alle Kinos bleiben jedoch – trotz guter Hygienekonzepte – wegen des bundesweiten Lockdowns wieder geschlossen. Besonders die anspruchsvollen Programmkinos und die Arthouse-Kinos trifft das hart. Doch es gibt – und gab – tatsächlich noch ein drängenderes Problem als die Pandemie (oder die US-Wahl): die Klimakrise!
Der Dokumentarfilm »One Word«, der eigentlich Anfang November bundesweit anlaufen sollte, handelt genau davon. Er erzählt von den Folgen des Klimawandels auf den Marshallinseln im mittleren Ozeanien, die nach pessimistischen Prognosen 2050 bereits nicht mehr bewohnbar sein werden. Ein wichtiger Film also, der nicht warten kann. Deshalb entschlossen sich die Macher*innen dieses partizipativen Dokumentarfilms, den Film wie geplant im November virtuell starten zu lassen und die teilnehmenden Kinos zur Hälfte an den Einnahmen zu beteiligen. Jedes Kino, das mitmacht, erhält einen virtuellen Kinosaal, den es auf seiner eigenen Webseite einbauen kann. Auf der Webseite one-word-the-movie.com kann man nachschauen, welche Kinos jeweils aktuell beteiligt sind.
So kann man an diesem Donnerstag, dem 12. November, auf der Seite der Brotfabrik in Berlin den Film streamen und nach der Vorstellung auch noch an einem Gespräch über diesen ungewöhnlichen Streifen, der von den Bewohnern der Marshallinseln selbst gedreht wurde, über das Videokonferenzprogramm Zoom teilnehmen. Die Regisseurin Viviana Uriona und ihr Ehemann Mark, der die Bildregie übernommen hat, verfolgen bei ihren Dokumentarfilmen nämlich stets einen partizipativen Ansatz. Mark Uriona erzählt, dass »die Grundidee dabei ist, die von einem Thema betroffenen Menschen von Anfang an und am besten bis zur Fertigstellung des Dokumentarfilms so intensiv zu involvieren, dass wir nicht über sie berichten, sondern sie von sich selbst berichten«.
Viviana Uriona führt aus, dass sie für »One Word« zunächst »mit ihrer Partnerorganisation Jo-jikum eine Auftaktveranstaltung am College auf Majuro organisierten. Wörtlich alle Einwohner*innen der Inseln wurden eingeladen, dorthin zu kommen, um sich zu informieren und uns kennenzulernen. Wir nutzten sogar einen Service der staatlichen Telekommunikationsagentur, der jedem Menschen auf den Inseln eine entsprechende SMS schickte. Zu der Auftaktveranstaltung kamen Menschen aller Altersgruppen und aller sozialen Hintergründe. Am Ende hatte man fünf Gruppen und neun Monate lang an fünf Tagen die Woche jeweils einen Workshop in Sachen Filmemachen.«
Entstanden ist so ein ungemein authentischer Film über die Bewohner*innen dieses Inselstaates im Pazifik, der nahe am Äquator liegt. Leider liegen dessen meiste Teile weniger als 1,80 Meter über dem Meeresspiegel. Somit sind die Marshallinseln einer der ersten Landstriche, die durch den Anstieg des Meeresspiegels von der Landkarte verschwinden werden – einige Zeit vor Städten wie beispielsweise Miami, Rio de Janeiro, Mumbai, London oder New York.
Zu Beginn des Films teilt ein Bewohner der Inseln eindringlich mit, dass sie erzählen wollen, wer sie sind, nämlich Meeresmenschen, die nichts anderes haben als Wasser. »Was aber passiert, wenn das Wasser zum Feind wird?«, ergänzt wenig später eine junge Frau von der Behörde für maritime Ressourcen mit Tränen in den Augen. »Wer bin ich noch, wenn unsere Kultur untergeht«, fragt eine andere. Eine wütende Dichterin kommt zu Wort, ebenso Menschen, deren Grundstücke bereits vom Ozean tüchtig angefressen werden. Ein Lehrer erzählt von Friedhöfen, die verschwinden, und vom Salzwasser, das in Süßwasserlinsen eindringt. Wissenschaftler berichten von sterbenden Korallenriffen, Fischer von schwindendem Fang.
Dennoch ist »One Word« kein deprimierender Film geworden, denn der gesunde Optimismus, der Anstand und die Menschlichkeit der Inselbewohner*innen bestimmen dieses leise und zugleich eindringliche Werk. »Die Menschen der Marshallinseln sind großartig«, sagt Mark Uriona. »Sie haben dort ein moralisches Prinzip, das sie ›Manit‹ nennen. Nach den Regeln des Manit ist ein aggressiver Mensch ein völliger Idiot und ein friedvoller Mensch eine große Respektsperson.«
Äußerst friedvoll und konzentriert erklärt auch die Meereswissenschaftlerin Gillian Cambers in schönstem britischen Englisch vor Ort unter anderem den Klimawandel und seine Folgen für die Welt im Allgemeinen und die Marshallinseln im Besonderen – so hinreißend unaufgeregt und einfach, dass selbst ein Jair Bolsonaro oder ein AfDler es verstehen könnten.
Auf die Frage, ob er persönlich Hoffnung habe, dass die Marshallinseln noch zu retten sind, antwortet Mark Uriona: »Wenn wir sie retten, retten wir uns. Der Philosoph Ernst Bloch hat Hoffnung sozusagen als harte Arbeit bezeichnet. In diesem Sinne glaube ich, dass es eine Pflicht zur Hoffnung gibt. Wir haben die Pflicht, hoffnungsvoll zu sein und dem auch Taten folgen zu lassen. In ›One Word‹ sagt ein Protagonist, wir müssen auf diesem Planeten wie eine Familie zusammenhalten. Das ist nicht naiv. Das ist die einzige realistische Chance, uns zu retten.«
„One Word“ in nd von Nov. 2020