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Foto (c)© Thibault Grabherr / F comme Film / Ciné@

Geflüchteter ohne Geschichte

Coco-Channel-Regisseurin Anne Fontaine möchte mit ihrem Film die französische Abschiebepolitik zu kritisieren, lässt in ihrer Geschichte aber unverständlicherweise den Betroffenen nicht zu Wort kommen

Anne Fontaines Drama „Bis an die Grenze“, das auf dem 2016 erschienen Roman „Die Polizisten“ von Hugo Boris beruht, begleitet drei Polizist*innen durch ihren nicht besonders freudvollen privaten und von psychisch belastenden Einsätzen begleiteten Alltag. Jede*r von ihnen bekommt ein eigenes Kapitel, in dem ein bestimmter Tag ihres Lebens zunächst aus ihrer jeweiligen Sicht dargestellt wird. Soweit, so noch in Ordnung.

Doch dann bekommen der unter Panikattacken leidende Aristide (Omar Sy), die ungewollt von ihm schwangere, verheiratete Virginie (Virginie Efira) und Erik (Grégory Gadebois), dessen Ehe die Hölle ist, den Auftrag einen tadschikischen Abschiebehäftling zum Flughafen zu begleiten. Tohirov (Payman Maadi) bekommt zwar auch ein eigenes Kapitelchen, jedoch erfahren die Zuschauer*innen in diesem so gut wie nichts über ihn. Das ändert sich im Verlaufe des Films auch nicht, denn Tohirov spricht nur seine eigene Sprache. Untertitel? Fehlanzeige.

Als die Flics begreifen, dass Tohirov in seinem Land der sichere Tod blüht, bekommen sie doch tatsächlich Zweifel, ob sie ihn ausliefern sollen. Ihrem moralischem Dilemma widmet Fontaine ihre ganze Aufmerksamkeit. In einer Zeit, in der wir permanent wegschauen und Menschen auf dem Meer und in Lagern einfach grausam ihrem Schicksal überlassen, lässt einen ein Film, in dem ein Geflüchteter ohne Geschichte lediglich als moralische Feuerprobe für Europäer*innen herhält, einfach nur fassungslos zurück.

In: Missy Magazine 6/20 von Nov. 2020