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Foto: (c) Weltkino

Die Hausfrauenfabrik

Die türkisch-französisch-deutsche Koproduktion “Mustang” von Deniz Gamze Ergüven geht verdientermaßen ins Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.

Die in Frankreich lebende türkische Regisseurin Deniz Gamze Ergüven fragte beim Kulturbeauftragten der Türkei an, ob sie ihr Coming-of-Age-Drama “Mustang” für ihr Land in das Rennen um den Auslandsoscar schicken dürfe. Man(n) lehnte dankend ab. Nun geht die bereits in Cannes gefeierte internationale Koproduktion über fünf Schwestern, die sich gegen das erzkonservative türkische Patriarchat wehren, delikaterweise doch noch für Frankreich ins Rennen um die begehrte Filmtrophäe. Das macht bereits im Vorfeld noch neugieriger auf Ergüvens Langfilmdebüt, das auch auf ihren eigenen Erfahrungen basiert.

Irgendwo an der türkischen Schwarzmeerküste beginnen – eingefangen in flirrend-verheißungsvollen Bildern – die Sommerferien. Fünf bildschöne Schwestern tollen mit ein paar Jungs aus ihrer Schule fröhlich am Meer herum, aus dem Off erzählt Lale (Günes Nezihe Sensoy), die Jüngste. Dargestellt werden die Mädchen von unverbrauchten Laiendarstellerinnen, was ihrem Spiel ein großes Maß an Authentizität verleiht.

Allerdings kann man der Regisseurin durchaus den Vorwurf machen, dass die fünf “Prinzessinnen” ein wenig zu schön sind, um wirklich wahr zu sein. Mit weniger traumhaft aussehenden Darstellerinnen hätte der Film durchaus noch an Realitätsnähe und Brisanz gewinnen können. So schlittern einige Bilder von ineinander verknäulten, langen, wilden Mähnen, Beinen und blitzenden Zähnen der tief miteinander verbunden Schwestern, die nur in ihrer unschuldigen Gemeinschaft ganz sie selbst sein können, manchmal haarscharf an einer Altherrenfantasie vorbei.

Kurz darauf stehlen die Mädchen recht metaphorisch noch ein paar Äpfel aus Nachbars Garten und werden prompt erwischt. Bis dahin warnte nur der Soundtrack ein wenig vor dem, was auf das unschuldige Spiel der Mädchen mit dem Temperament wilder Mustangs folgen würde. Zuhause werden sie bereits von ihrer äußerst erbosten Großmutter (Nihal Koldas) erwartet. Eine Nachbarin hat die mit den Jungs herumalbernden Mädchen beobachtet und verpetzt. Nun steht die Familienehre auf dem Spiel.

Die Großmutter verprügelt die Schwestern, abends kommt der böse Onkel (Ayberk Pekcan) und verkündet, er werde sich fortan um die viel zu laxe Erziehung der Vollwaisen kümmern. Handys, Computer, Bücher und auch Musik – man fühlt sich nicht nur an dieser Stelle an die “Virgin Suicides” von Sofia Coppola erinnert – werden einkassiert. Außer Haus müssen die Mädchen nun sackartige, “kackfarbene Kleidung”, wie Off-Erzählerin Lale böse kommentiert, tragen.

Sogar ihre Jungfräulichkeit wird von einem Arzt untersucht. Schule ist fortan tabu, das zunehmend vergitterte Heim verkommt zur “Hausfrauenfabrik”. Nachbarinnen bringen ihnen das Kochen, Backen, Putzen und Nähen bei. Denn die erblühenden Schwestern sollen nun schleunigst verheiratet werden, was vor allem in den ländlichen Gegenden der Türkei durchaus noch üblich ist. Angedeutet wird auch, dass der etwas klischeehaft als dämonischer Patriarch dargestellte Onkel den älteren Schwestern nächtliche Besuche abstattet. Atmosphärisch dicht ins Bild gesetzt, geht die Entrechtung der jungen Frauen dem Zuschauer sehr nahe.

Dennoch durchzieht den Film immer wieder Hoffnung und eine Leichtigkeit, die im Wesen und der unverwüstlichen Gemeinschaft der Schwestern begründet liegt. Gemeinsam büchsen die freiheitsliebenden Teenager zu einem Fußballspiel aus, sie spielen schwimmen auf Matratzen oder necken sich gegenseitig. Eine verschwörerische Handkamera fängt diese Szenen ein. In den intimen Kreis der Schwestern kann das Patriarchat nicht eindringen.

Doch letztlich wird eine nach der anderen zwangsverheiratet, nur einer Schwester gelingt es, wenigstens ihren heimlichen Geliebten zu ehelichen. Lale jedoch findet in einem jungen, fortschrittlich denkenden Mann im Dorf einen Verbündeten. Der bringt ihr heimlich Autofahren bei, falls sie je in die Zwangslage kommen sollte, abhauen zu müssen. Letztlich siegt Ergüvens hinreißende Inszenierung über eine etwas zu klischeehafte Story und die übertrieben schönen Darstellerinnen. So darf man sich auch auf den nächsten Film der Regisseurin freuen, der womöglich die Geschichte einer gegen das Patriarchat aufbegehrenden Türkin erzählt, die nach Paris zum Filmstudium geht.

Stimme / Feb. 2016