Foto (c) 2018 NORD-OUEST FILMS – ARTE FRANCE CINÉMA
Trauerarbeit auf Französisch
Ist es möglich, einen von Leichtigkeit geprägten Film über die Trauer einer Patchwork-Familie zu machen, die bei einem Anschlag einen schweren Verlust erlitten hat? Mikhaël Hers ist das mit seinem stillen Drama “Mein Leben mit Amanda” weitestgehend gelungen.
Am 13. November 2015 wurden bei terroristischen Anschlägen in Paris 130 Menschen getötet. Daraufhin verhängte die französische Regierung für zwei Jahre den Ausnahmezustand, der sich vor allem in einem erhöhten Sicherheitsaufgebot bemerkbar machte – bewaffnete Soldaten standen plötzlich überall in der Stadt. Vor dem Hintergrund einer derart traumatischen kollektiven Erfahrung spielt Mikhaël Hers’ lichtdurchflutetes Drama “Mein Leben mit Amanda”, das 2018 in Venedig seine Premiere feierte.
In diesem dritten Langspielfilm des französischen Filmemachers verliert ein sorglos in den Tag hineinlebender junger Mann seine alleinerziehende Schwester bei einem fiktiven Terroranschlag und muss sich fortan um deren kleine Tochter kümmern. Doch Hers (“Dieses Sommergefühl”) interessieren nicht die Hintergründe des Anschlags in einem Pariser Park, sondern einzig und allein, wie die Protagonisten lernen müssen, mit dem Schock und der Trauer umzugehen.
Es ist Sommer in Paris, ein Sommer wie man ihn aus Filmen von Eric Rohmer kennt – von Kameramann Sébastien Buchmann stimmungsvoll auf körniges 16mm-Filmmaterial gebannt. Der 24-jährige David, großartig verkörpert von dem französischen Shooting-Star Vincent Lacoste, radelt verträumt auf dem Fahrrad durch die Stadt. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Vermittler von privaten Unterkünften an Touristen und mit gelegentlichem Baumstutzen in öffentlichen Parks.
Zu seiner Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) hat er eine enge Verbindung, da die Geschwister mutterlos aufgewachsen sind und auch ihr Vater mittlerweile gestorben ist. Gelegentlich kümmert sich David auch um seine junge Nichte Amanda (authentisch verkörpert von der Laienschauspielerin Isaure Multrier), die von ihrer Mutter allein großgezogen wird. Allerdings ist er nicht besonders zuverlässig, holt die Siebenjährige auch schon mal viel zu spät von der Schule ab.
Eines Tages vermittelt David der jungen Pianistin Léna (Stacy Martin, “Nymphomaniac”) eine Wohnung. Die beiden jungen Leute, die noch dabei sind, ihren Platz im Leben zu suchen, verlieben sich ineinander. Doch die Tage der Unbeschwertheit finden ein jähes Ende, als Paris von einem Terroranschlag heimgesucht wird. Es hätte ein gemeinsames Picknick im Park werden sollen, mit David, seiner Schwester und seiner Freundin. Doch David kommt zu spät und steht vor einem Bild des Grauens. Schon bald erfährt man, ohne dass Regisseur Hers es effektheischend ins Bild rückt, dass Davids Schwester ums Leben gekommen ist. Léna hat überlebt, leidet aber unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung.
David sieht sich nun gezwungen, sich der Trauer über seinen schrecklichen Verlust zu stellen. Gleichzeitig aber muss er sich – gemeinsam mit einer alten Tante – um seine Nichte Amanda kümmern und sich überlegen, ob er fortan für sie sorgen oder sie lieber in ein Heim stecken will. Doch wie sagt man einem Kind, dass seine Mutter gestorben ist, vor allem, wenn man selbst noch recht unreif ist? Wie reagiert man, wenn das Kind sich furchtbar aufregt, weil man nach einiger Zeit die Zahnbürste der verstorbenen Mutter entsorgt? Wie geht man mit der schwer traumatisierten Geliebten um, die bei jedem Knallfrosch, den ein Kind unbedarft auf die Straße wirft, panisch reagiert?
Hers beobachtet dies alles sehr feinfühlig und ohne Sentimentalität. Berührend zeigt er, wie die Schockstarre der Protagonisten sich allmählich löst und jeder auf seine Art und in seinem Tempo begreift, dass das Leben weitergehen muss. Dabei spielen die Lebensgeister der französischen Metropole – gewissermaßen als dritte Hauptperson – eine nicht unwichtige Rolle. Der Rhythmus dieser widerstandsfähigen Stadt hält das Herz der zutiefst Trauernden im steten Takt.