F

Foto (c) Warner Bros. Pictures Germany

Original und Fälschung

In Donna Tartts vielschichtigem Meisterwerk “Der Distelfink” geht es immer wieder auch um den Unterschied zwischen Original und Fälschung in der Kunst. Regisseur John Crowley versucht, den Zauber des Originals in seiner Filmadaption einzufangen.

Über 1.000 Seiten lang ist Donna Tartts großartiger Roman “Der Distelfink”, der 2013 vielen Menschen durchlesene Nächte bescherte und im Jahr darauf zu Recht den Pulitzer-Preis gewann. “Brooklyn”- Regisseur John Crowley wagte sich an die Verfilmung des komplexen Meisterwerks, das an die Entwicklungsromane von Charles Dickens erinnert. Virtuos sinniert die Autorin in ihrem Buch über Schicksal, Zufall, Trauma, Schuld, Identität und Tod, sowie den Trost, der unsterblicher Kunst innewohnt. Crowleys Filmadaption beginnt wie der Roman in Amsterdam, Theo (hoffnungslos fehlbesetzt: “Baby-Driver” Ansel Elgort) hängt in einem Hotelzimmer herum und denkt daran, Selbstmord zu begehen.

Unvermittelt landet man daraufhin in einer noblen Wohnung in Manhattan, in die der 13-jährige Theo (weitaus glaubwürdiger: Oakes Fegley) gebracht wird, nachdem er bei einem terroristischen Bombenanschlag im Metropolitan Museum seine Mutter verloren hat. In einem Täschchen verbirgt der Junge, der sich schuldig am Tod seiner geliebten Mutter fühlt, das kleine Gemälde des titelgebenden, zahmen Distelfinks. Carel Fabritius, ein Zeitgenosse Rembrandts, malte es 1654, kurz bevor er ebenfalls bei einer Explosion verstarb. Der unter Schock stehende Junge steckte das Bild, das seine Mutter sehr liebte, nach der Katastrophe im Museum einfach ein.

Häppchenweise erfährt der Betrachter, dass die Barbours, die ihn erst einmal aufnehmen, zur Familie eines Schulfreundes gehören. Theos Mutter war alleinerziehend, sein Vater hat sich aus dem Staub gemacht. Frau Barbour (Oscar-Gewinnerin Nicole Kidman) gelingt es, eine Beziehung zu dem traumatisierten Jungen aufzubauen.

Doch gilt es noch einen weiteren Handlungsfaden des Buches abzuarbeiten: Theos Freundschaft mit dem warmherzigen Antiquitätenhändler Hobie (Jeffrey Wright), dessen Geschäftspartner Blackwell bei der Explosion verstarb. Dort trifft Theo auch Blackwells etwa gleichaltrige Nichte Pippa wieder, die bei dem Anschlag neben ihm stand und sich nur langsam von ihren schweren Verletzungen erholt. Sie wird für ihn zur unerreichbaren Liebe seines Lebens.

Bald jedoch meldet sich Theos windiger Vater Larry (Luke Wilson). Er nimmt den Jungen mit nach Las Vegas, wo er mit seiner vulgären Geliebten Xandra (Sarah Paulson) in einer verlassenen Siedlung am staubigen Rande der Wüste lebt. Dort wiederum lernt Theo den gleichaltrigen, ukrainischen Jungen Boris kennen, eine Rolle, die von “Stranger Things”-Star Finn Wolfhard eigenwillig interpretiert wird. Die Freundschaft zwischen den beiden Halbwaisen wird ein Leben lang halten, und wieder kann der Schauspieler Aneurin Barnard, der später den erwachsenen Boris verkörpert, dem Kinderdarsteller nicht das Wasser reichen.

Die Beziehung zwischen dem naiven, traumatisierten Theo und dem ebenfalls geschädigten Boris, der von seinem Vater misshandelt wird, ist der interessanteste Part der Coming-of-Age-Geschichte. Auch hier liefert Kameramann Roger Deakins (“Blade Runner 2049”), traumhafte Bilder, die etwas von dem Geist der literarischen Vorlage atmen. Noch viel länger könnte man den beiden verlorenen Jungen zuschauen, wie sie rauchen, Bier trinken, Drogen einwerfen, aber auch einander den Halt geben, den sie so dringend benötigen. Allerdings wird die Drogensucht Theo nie mehr loslassen, ebenso wenig wie das gestohlene Bild.

Theos Zeit in der gottverlassenen Siedlung ist die einzige Passage des Films, in der man nicht das Gefühl hat, eher unterentwickelten Charakteren zuzuschauen. Drehbuchautor Peter Straughan lässt ansonsten von dem Text Tartts nur das Plotgerippe übrig. Der viel wichtigeren Zwischentöne beraubt, wirkt Crowleys zweieinhalb Stunden langer Film wie ein großes unzusammenhängendes Durcheinander, dessen Ende man irgendwann herbeisehnt. Allerdings ist das krimihafte Finale der schwächste Part eines ohnehin schwachen Films, den auch ein aufdringlicher Soundtrack dem Publikum nicht näher bringen kann. Am Ende wirkt Crowleys Film wie eine optisch passable Fälschung, die jedoch Lichtjahre vom Original entfernt ist.

“Der Distelfink” in Prisma von Sept. 2019