F

Foto (c) 2017 NFP marketing&distribution / Mongrel Media

Malen oder nicht malen

In dem Biopic “Maudie” verkörpert Sally Hawkins die Volkskünstlerin Maud Lewis mit einer schauspielerischen Meisterleistung. Zugleich erzählt der Film von Aisling Walsh die bislang schönste Liebesgeschichte des laufenden Kinojahres.

“Das ganze Leben ist in einem Bilderrahmen – Direkt vor uns.” So sagt es die beeindruckende Folk-Art-Künstlerin Maud Lewis in dem zutiefst berührenden, aber nie kitschigen Biopic “Maudie” der irischen Regisseurin Aisling Walsh. Die bereits als Kind schwer an Arthritis erkrankte Künstlerin, die atemberaubend von Sally Hawkins (“Happy Go Lucky”) verkörpert wird, ist in ihrem Heimatland Kanada zu Recht eine Berühmtheit. Ihre farbenfrohen, naiven Bilder verkaufte sie zeitlebens für ein paar Dollar, bis schließlich in den letzten Jahren vor ihrem Tod sogar Präsident Nixon ein Bild bei ihr bestellte. Doch bis die tapfere junge Außenseiterin, deren Knochen von der schweren Krankheit zusehends deformiert wurden, auch nur ein einfaches, selbstbestimmtes Leben führen konnte, war es ein weiter Weg. Auf diese dramatisch-leise Entwicklungsgeschichte, die eng mit der schwierigen Liebe zu ihrem griesgrämigen, simpel gestrickten Lebensgefährten – einem Fisch-Hausierer – zusammenhing, konzentrieren sich Walsh und ihre Drehbuchautorin Sherry White.

Kameramann Guy Godfree stimmt den Zuschauer von Beginn an mit poetischen, sehnsuchtsvollen Landschaftsaufnahmen auf das Werk von Lewis ein. Gedreht wurde in Neufundland, das aber die Heimat der Volkskünstlerin – Nova Scotia in Kanada in den 30er Jahren – darstellen soll.

Maud Lewis wird nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem kaltherzigen, geldgierigen Bruder zu ihrer Tante Ida (Gabrielle Rose) abgeschoben, die an der Ostküste lebt. Doch die will die körperlich eingeschränkte und ein wenig wunderlich wirkende Maud eigentlich auch nicht um sich haben. Die lebenslustige, junge Frau, die so gerne malt und nie nach ihrem Willen und ihren Wünschen gefragt wird, möchte aber sowieso nicht bei der Tante bleiben.

Stattdessen will sie endlich ein selbstbestimmtes Leben führen. Kurzentschlossen bewirbt sie sich bei dem grantigen, alleinstehenden Everett (Ethan Hawke) als Haushaltshilfe. Doch eigentlich will auch der im Waisenhaus aufgewachsene Junggeselle, der sich sehr schwer tut Gefühle zuzulassen, keinen “Krüppel im Haus”.

Oscar-Preisträger Ethan Hawke (“Boyhood“) verkörpert diesen schwierigen Außenseiter, der wenig redet und zu Gewaltausbrüchen neigt, sehr passabel, reicht jedoch nie an die schauspielerische Meisterleistung Hawkins heran. Wie einfühlsam diese die Volkskünstlerin verkörpert, wird einem vollends beim Abspann bewusst, wenn ein paar dokumentarische Aufnahmen des echten Lewis-Paares zu sehen sind.

Der merkwürdigen, warmherzigen und von einem feinen Schalk beseelten Maud gelingt es, Everett zu überzeugen, es mit ihr zu versuchen. Anstandslos teilt sie das einzige Bett in dem winzigen Haus mit ihm. Das Zwei-Zimmer-Haus wird zum Sinnbild ihres gemeinsamen Lebens und ihrer Liebe werden – und wird heute übrigens auch in der Galerie in Nova Scotia ausgestellt.

Denn Maud beginnt das isoliert stehende, düstere Haus mit ihrer lebensfrohen naiven Malerei zu verändern, bemalt Treppen, Wände und Fensterscheiben. Mauds Art, die Welt zu sehen, verändert auch ganz langsam den Blick ihres groben Arbeitgebers und späteren Lebensgefährten.

Nachdem die zugezogene New Yorkerin Sandra (Kati Matchett) zufällig Mauds kleine Gemälde entdeckt und ihr begeistert ein paar abkauft, wird die Öffentlichkeit ganz allmählich auf ihr außergewöhnliches Talent aufmerksam. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Beziehung des auf engstem Raum zusammenlebenden Pärchens.

Zuzuschauen, wie sich die Liebe zwischen diesen beiden vom Schicksal nicht gerade verwöhnten Außenseitern gegen alle Widrigkeiten des Alltags und Mauds zunehmende Einschränkungen mehr und mehr vertieft, treibt einem immer wieder die Tränen in die Augen. Ob sie ihr zeigen könne, wie man malt, fragt Sandra einmal Maude. Das können man niemandem beibringen, antwortet diese. Entweder man male oder man male nicht. Ebenso verhält es sich mit der Liebe, möchte man nach diesem Film ergänzen. So verstörend einfach ist das.

Stimme / Okt. 2017