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Die Geister, die wir riefen
Weltweit schreitet das Bienensterben weiter voran und wir sollten uns dingend darum kümmern, rät Markus Imhof in seinem großartigen Dokumentarfilm „More than Honey“
Die Bienen sterben. Weltweit beobachten Naturschützer diese traurige Entwicklung, die sich in den letzten Jahren immer mehr zuspitzte. Der renommierte Regisseur Markus Imhoof beleuchtet in seinem spektakulären Dokumentarfilm „More Than Honey“ dieses bedrohliche Phänomen von vielen Seiten – und leistet auch darüber hinaus Aufklärungsarbeit: An einem regnerischen Herbsttag versammelten sich der Regisseur und einige Experten bei einem Kaulsdorfer Imker, um ihre Erkenntnisse über das für das Überleben der Menschheit so bedeutsame Insekt auszutauschen.
Das Fasziniertsein von Bienen scheint vererbbar zu sein: Wie Regisseur Imhoof und einige Protagonisten seines Dokumentarfilms, so liegt auch Dr. Marc-Wilhelm Kohfink die Imkerei seit mehreren Generationen im Blut. 150 Bienenvölker betreut der Hobbyimker – auch am Potsdamer Platz und am Ku’damm hat er Bienenstände. In der Stadt seien die Temperaturen im Schnitt um zwei Grad höher; ein Grund, weshalb sich die Bienen dort (noch) wohler fühlen als im Umland. Doch nicht der einzige, erklärt Tomas Brückmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz eindringlich, während eine träge Sommerbiene, deren Lebenszeit um diese Jahreszeit abläuft, ihn umschwirrt.
Die industrielle Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und dem massiven Einsatz von Pestiziden, insbesondere die hochgefährlichen Neonicotinoide, habe maßgeblich das Bienenvölkersterben auf dem Lande zu verantworten. Dieses Nervengift, das etwa zu einem hohen Orientierungsverlust der Bienen führe, trage beträchtlich zu der Immunschwäche der Bienen bei. In Fachkreisen spricht man bereits von „Bienenaids“. Regie-Altmeister Imhoof bringt es in seiner gelassenen Schweizer Art auf den Punkt: „Das ist pervers, dass es den Bienen auf Friedhöfen und in Parks besser geht als in unserer Landschaft.“
Thomas Radetzki von Mellifera e. V, einer Vereinigung für wesensgemäße Bienenhaltung, schlägt in dieselbe Kerbe: „Die Bienenfrage ist eine globale Überlebensfrage – der Verlust der Biodiversität wird die Menschheit an den Rand des Kollaps führen.“ Seine Augen blicken kampflustig und traurig zugleich, als er den Zuhörern das Drama des Imkers vor Augen führt: „Bienen sterben still“.
Diese gefährliche Stille mit „More Than Honey“ zu durchdringen ist das große Anliegen von Regisseur Markus Imhoof. Groß- und Wanderimker John Miller begrüßte ihn mit den Worten „He, schöne Tierquälerei, was wir da machen, was?“, erinnert sich Imhoof. Erstaunlich offen und reflektiert berichtet Miller in der Dokumentation über den seelenlosen Umgang mit seinen Bienen, die ihm immensen Umsatz erwirtschaften. Imhoof filmte stoisch, wie der Imker Schwärme auseinanderreißt und Tausende von Kilometern im Jahr mit seinen gestressten Bienen zurücklegt – nur um die Überlebenden dann auf sich bis zum Horizont erstreckenden Mandelbaumplantagen zu Tode arbeiten zu lassen. Selbst den Pestizideinsatz bei Tage ließ Miller wider besseren Wissens geschehen, er fand „immer so einen kleinen amerikanischen Ausweg“, um seiner ethischen Verantwortung zu entfliehen.
In China, wo das Bienensterben in einigen Landstrichen bereits biblische Ausmaße angenommen hat, reiste Imhoof inkognito als „Bauingenieur“ ein, an eine Drehgenehmigung war nicht zu denken. Eine linientreue Pollenhändlerin, die die Pollen aus dem Süden in den bereits bienenfreien Norden des Landes bringt und dort von Arbeitern per Hand auf die Pollen auftupfen lässt, wurde nach kurzer Drehzeit misstrauisch. Ein Mitarbeiter schmuggelte den Chip mit den wertvollen Dokumentaraufnahmen fortan in der Unterhose, erinnert sich der Filmemacher. Das Filmteam verließ schleunigst das Land.
Ähnlich gefährlich verliefen die Dreharbeiten bei den so genannten „Killerbienen“, zu denen Imhoof verschmitzt eine nachdenklich stimmende Hintergrundgeschichte zu erzählen weiß: Vor ein paar Jahren konnte diese Züchtung aus Versuchslaboren in Brasilien entweichen, weil „ein Mitarbeiter Erbarmen mit den armen Bienen hatte. Deshalb hat er das Gitter weggenommen und 26 Schwärme konnten entfliehen. Das ist wirklich eine Zauberlehrling-Geschichte“, schließt Imhoof und seine Augen funkeln hinter seinen runden Brillengläsern.
Ein Kameramann wurde durch sein Schutznetz von diesen Bienen mehrfach in die Nase gestochen, so dass er laut Imhoof aussah wie der „Elefanten-Mensch“. Auch eine Harlekinmaske, die das Team in Tuscon gefunden habe, konnte ihn nicht vor dieser unverwüstlichen Bienenart schützen: „Sie haben ihn dann in die Maske gestochen.“ Imhoof lächelt in sich hinein, ihm gefallen „diese Killerbienen, weil sie so ungehorsam sind“. Mit seinem Film habe er auch „positiv ausdrücken wollen, das die Natur einen Ausweg finden wird. Vielleicht nicht den, den wir erhofft haben.“
Doch natürlich ist vor allem auch der Mensch gefragt: „Der UNO-Foodreport sagt, wir müssen kleinere Betriebseinheiten schaffen, um die Welternährung zu garantieren“, erklärt Imhoof. „Bienen sind ja ein Bestandteil von alldem – und das Gegenteil wird gemacht.“ All die Geister, die wir riefen, werden wir scheinbar nicht los. Nur allzu gern würde man diesem alten Meister die störrischen Zauberbesen überantworten. Doch stattdessen ist unsere Schwarmintelligenz gefragt.