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Foto (c) NFP Filmwelt 

Strahlende Königin

Das Ehepaar Curie liegt im Bett. Der Mann kuschelt sich an seine heiß geliebte Frau, fragt zärtlich: „Willst Du?“ – Sie nickt. Also ziehen die Liebenden los in ihr Labor und schauen sich das von ihnen entdeckte, geheimnisvoll blau leuchtende Radium an. Ihr Mann Pierre sagt: „Es leuchtet von innen wie Du.“ Diese romantische Szene ist typisch für Marie Noëlles Hommage an die titelgebende, zweifache Nobelpreisträgerin „Marie Curie“. Der französischen Regisseurin („Die Frau des Anarchisten“) lag es offensichtlich am Herzen, sie nicht nur als äußerst engagierte Forscherin, sondern auch als ebenso leidenschaftliche Ehefrau, Mutter und Geliebte zu zeigen.

Dieser Aspekt, der in den zahlreichen Kino- und TV-Produktionen über Curie immer zu kurz kommt, wird von Marie Noëlle und ihrer Mit-Autorin Andrea Stoll stark in den Fokus gerückt. Der Filmbewertungsstelle war diese dramaturgische Entscheidung das Prädikat „besonders wertvoll“ wert, wogegen zunächst einmal nichts einzuwenden ist. Auch dass das liebevoll und authentisch ausgestattete Biopic nicht ihr ganzes Leben abhandelt, sondern lediglich die acht Jahre zwischen Curies Nobelpreisen in Physik und Chemie beleuchtet, klingt spannend.

1903 erhält die nach Frankreich emigrierte Polin Marie Curie, die glaubwürdig von Karolina Gruszka verkörpert wird, gemeinsam mit ihrem Mann Pierre (Charles Berling) den Nobelpreis für Physik. Ein Jahr darauf bringt sie ihre zweite Tochter zur Welt. Der Blasensprung ereilt sie natürlich im Labor, wo sie bis zuletzt gearbeitet hat. Kurze Zeit später verliert sie ihren Mann bei einem tragischen Unfall. Doch die trauernde Witwe und nunmehr alleinerziehende Mutter lässt sich nicht unterkriegen, stürzt sich in die Arbeit.

„Wenn ich arbeite, ist er bei mir“, sagt sie einmal. Sie vermisst ihren verstorbenen Ehemann, der mit ihr eine erstaunlich gleichberechtigte Partnerschaft gelebt hat und dies in einer Zeit, in der Mädchen in der Schule nicht einmal am Physikunterricht teilnehmen durften. Deshalb unterrichtet die feministische Vorkämpferin ihre Mädchen und auch einige andere aufgeweckte Kinder gemeinsam mit ihrem Forscherkollegen Paul Langevin (Arieh Worthalter) kurz entschlossen selbst. Auf Curies Unzufriedenheit mit dem herrschenden Schulsystem, das auf Auswendiglernen und Geschlechterdiskriminierung beruht, wird von Marie Noëlle ein kurzes Schlaglicht geworfen. Darüber hätte man gern noch mehr erfahren.

Gegen die gängigen Geschlechtervorurteile und den herrschenden Sexismus in der Welt der Naturwissenschaftler erkämpft sich Curie einen Lehrstuhl an der Pariser Sorbonne. Spätestens ab ihrer ersten Vorlesung dort, die von Kameramann Michal Englert gekonnt fotografiert wurde, ist der Zuschauer zwar voller Bewunderung für diese unerschrockene Frau, kann sich jedoch kaum mit der überhöht inszenierten Figur identifizieren.

Als Curie dann eine Affäre mit dem verheirateten Paul Langevien beginnt und die Kamera sich ausgiebig ihrem sinnlich-nackten Körper widmet, kommt zudem Unmut auf. Man stelle sich ein Biopic über einen herausragenden männlichen Wissenschaftler vor, in der die Kamera ausgiebig über seine Blöße wandert. Schwer vorstellbar. Der Zeit ihres Lebens Sexismus und Geschlechterungleichbehandlung bekämpfenden Curie hätte dies sicher nicht gefallen.

In seinen besten Momenten präsentiert sich der Film als aufschlussreiches Sittengemälde dieser Zeit – etwa dann, wenn der schwedische Botschafter Curie dringend nahelegt, aufgrund des Skandals um Liebschaft auf ihren zweiten Nobelpreis zu verzichten. Ein interessanter Fakt, der wenig bekannt ist. Solche Szenen vermögen den Zuschauer einfach mehr zu packen als jedes sinnenfrohe Picknick auf dem Fußboden in der Wohnung des Geliebten, der sie einmal hingerissen „meine strahlende Königin des Radiums“ nennt. 

WN / Okt. 2016