T

»The Lost King«: Krönung der Intuition

Stephen Frears Drama »The Lost King« erzählt von der Ehrenrettung des Königs Richard III. durch eine unscheinbare Frau

Träum weiter, träum von Tod und von Verderben: Du sollst verzweifeln und verzweifelnd sterben.» So verfluchen die Geister der Opfer von König Richard III. ihn vor seiner entscheidenden Schlacht bei Bosworth. Gemäß William Shakespeares gleichnamiger Tragödie, die er 100 Jahre nach dem Tod Richard III. schrieb, war er ein monströser Buckliger, der nicht einmal davor zurückschreckte, seine Neffen zu ermorden, um König von England zu werden. Bezahlt wurde Shakespeare zu der Zeit von der Siegerpartei, die seitdem herrschte: den Tudors. Dennoch hielten viele seine fiktive Tragödie 500 Jahre für bare Münze.

Kurz vor der Jahrtausendwende ereignet sich dann eine jener unglaublichen Geschichten, wie sie nur das Leben schreibt. Sie handelt von einer unscheinbaren, aber verdammt hartnäckigen Frau aus Leicester, die den Blick der Welt auf König Richard III. für immer verändern wird.

Nun könnte einen diese Geschichte als Anti-Monarchist*in völlig kalt lassen, waren doch die meisten englischen König*innen – angefangen von William the Conqueror über Bloody Mary bis hin zu zu Elisabeth II. – teilweise völlig skrupellos. Doch obwohl es im neuesten Drama «The Lost King» von Stephen Frears vordergründig um die Ehrenrettung des Königs Richard III. durch eine unscheinbare Frau geht, folgt man fasziniert der auf einer wahren Begebenheit beruhenden Geschichte.

Das hat vielerlei Gründe: Zum einen wird die unbeirrbar ihrer Intuition folgende Philippa Langley von der großartigen, bereits zweimal für den Oscar nominierten Sally Hawkins («Shape of Water – Das Flüstern des Wassers») verkörpert. Zum anderen versteht der mittlerweile 81-jährige Frears es wie kaum ein zweiter, wahre Geschichten von Menschen in berührende, von feinstem britischen Humor geadelte Filme zu verwandeln. Man denke nur an «Philomena» mit Dame Judy Dench in der Titelrolle, in dem sie eine 70-jährige Frau spielt, die verzweifelt ihren Sohn sucht. Dieser wurde Philomena, die man ebenso wie Philippa nicht unterschätzen darf, einst von der katholischen Kirche in Irland brutal entrissen und zur Adoption freigegeben.

Steve Coogan gibt in «Philomena» den misanthropischen Journalisten, der ihr bei der Suche hilft. In «Lost King» verkörpert der Brite, der auch am Drehbuch beteiligt war, den modernen Ex-Mann Philippas, John. Wohltuend für jede unbezahlte Care-Arbeiterin mit anzuschauen, wie er sich trotz Trennung ganz selbstverständlich um die gemeinsamen Kinder kümmert und seiner Ex-Frau zur Seite steht. Eine Szene, in der Philippa bewusst wird, dass John ihrem Seelenheil zuliebe seinen Plan aufgegeben hat, sein klappriges Auto endlich durch ein neues auszutauschen – und ihr stattdessen lieber heimlich eine fette Spende für ihre Suche nach dem Grab des geächteten Monarchen hat zukommen lassen, gehört zu den romantischsten des laufenden Kinojahres.

Zunächst einmal aber hat die Mittdreißigerin Philippa gerade keinen guten Lauf im Leben: Als es gilt, die Karriereleiter hochzuklettern, wird sie wieder einmal übergangen, die Ehe mit John ist gescheitert und zudem leidet sie noch an einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Kein Wunder, dass sie bei einer Theateraufführung von Shakespeares «Richard III.», der von Game-of-Thrones-Darsteller Harry Lloyd gespielt wird, mit dem beeinträchtigten und ungerecht behandelten Außenseiter sympathisiert.

Richard III. – der immer noch von Lloyd verkörpert wird – beginnt in ihren Tagträumen zu erscheinen. Eine gute Drehbuchidee, um Philippas Innensicht sichtbar zu machen. An der einen oder anderen Stelle hätte man sich allerdings ein wenig mehr Dialog zwischen den beiden gewünscht. Aber immerhin darf König Richard, der berühmt wurde durch seinen angeblichen Ausruf «Ein Königreich für ein Pferd!», in der einen oder anderen Szene doch noch einen Schimmel reiten. Philippa ist durch die «Gespräche» mit ihm nun wild entschlossen, seine Gebeine zu finden.

Sie beginnt, exzessiv Nachforschungen über ihren Leidensgenossen anzustellen, und anfänglich denkt man immer wieder, dass die willensstarke Träumerin sich völlig verrennt. Besonders als sie sich der «Richard III. Society» anschließt, einem Haufen sympathischer Vollnerds, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Richards Weste reinzuwaschen. Doch nichts kann Philippa mehr aufhalten, nicht einmal schwer eingebildete Geschichtswissenschaftler. Gegen Ende startet die Hobby-Historikerin sogar ein Crowdfunding, um auf einem Parkplatz in Leicester mit Grabungen beginnen zu können. Sie vermutet ausgerechnet unter dem auf dem Boden aufgemalten «R» – für reservierte Parkplätze – das vergessene Grab des vermeintlichen Usurpators, der angeblich einfach achtlos in den Soar geworfen wurde. Der Rest ist Geschichte, die endlich einmal die Version der Siegermacht korrigiert. Und Philippas Familie ist am Ende mächtig stolz auf ihre «Königsfinderin».

Merkwürdiger, britischer Königskult hin oder her, diese unterhaltsame Tragikomödie, die man sich nicht entgehen lassen sollte, feiert in erster Linie das Vertrauen in die eigene Intuition und weibliches Empowerment.

Foto (c) X-Verleih AG

„The Lost King“ in nd Okt. ’23