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Foto (c) 2015 Twentieth Century Fox

Die Last eines Krebsdramas

Die allzu bewusst schräge Krebsdramödie “Ich und Earl und das Mädchen” kränkelt an zu viel Coolness und zu wenig Mitgefühl.

Der gut besetzte und zweifelsohne einfallsreiche Film “Ich und Earl und das Mädchen” räumte beim letzten Sundance-Festival gleich zwei begehrte Preise ab: den großen Preis der Jury und den des Publikums. Trotz dieser recht beeindruckenden Vorschusslorbeeren enttäuscht das Krebsdrama dann doch wegen seiner Effekthascherei und Coolness, die zu Lasten des simplen Mitgefühls gehen. Für den nur mäßig sympathischen, nerdig-schüchternen Protagonisten Greg wird das titelgebende sterbende Mädchen Rachel zu sehr zur weiteren Projektionsfläche seiner ungelebten Sehnsüchte. Ihr Krebs-Schicksal lässt den Zuschauer jedoch unangenehm kalt.

Dies mag daran liegen, dass man die tragische Geschichte durch die Augen von Greg (perfekt verkörpert von Thomas Mann) erlebt. Mittels sarkastischem Voice-Over-Kommentar weiht der Außenseiter, der seine Gefühle sorgsam hinter einer größtenteils wie schockgefrostet wirkenden, coolen Fassade verbirgt, den Zuschauer in sein Leben ein. Dieses besteht zu Beginn hauptsächlich darin, das letzte Highschool-Jahr möglichst unbeschadet zu überleben. Deshalb lautet Gregs Motto, sich mit allen gut zu stellen und möglichst unsichtbar zu bleiben.

Mit seinem wie er kinobegeisterten Kumpel Earl (RJ Cyler), den der heimliche Misanthrop dann doch lieber als seinen “Mitarbeiter” bezeichnet, verbringt er die Pausen verschanzt im Zimmer eines verständnisvollen Lehrers. In seiner Freizeit dreht er mit ihm besagte Kurzfilm-Hommagen mit so witzigen Titeln wie “A Sockwork Orange” und “Eyes Wide Butt”. Der visuell stets überbordende Regisseur Wes Anderson lässt auch hier grüßen.

Als jedoch Gregs Mutter darauf besteht, dass er mit der Tochter einer Freundin, seiner schwer an Leukämie erkrankten Klassenkameradin Rachel (Olivia Cooke), Zeit verbringen soll, wird sein entspanntes Arrangement mit der Welt empfindlich gestört. Von der coolen Rachel erfährt man nicht viel. Nur: Auch sie erschafft mit Hilfe einer Schere ihre eigenen Traumwelten und kann mit Mitleid nichts anfangen.

So entsteht zwischen den beiden Teenagern, die anfangs nur gemeinsam abhängen, um ihre Mütter zufriedenzustellen, so etwas wie Freundschaft. Und “keine heiße Liebe, schließlich ist das kein romantischer Film”, wie der unzuverlässige Ich-Erzähler sich veranlasst sieht, zu betonen. Regisseur Alfonso Gomez-Rejon möchte sich anscheinend unbedingt abgrenzen von gängigen Krebsdramen wie “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” (2012), bei dem auch der hartgesottenste Zuschauer das ein oder andere Taschentuch zieht.

Die alleinerziehende Mutter von Rachel ist die einzige Figur in dem Coming-of-Age-Film, der ein wenig mehr Raum für deutlich sichtbare Verzweiflung und Tränen erlaubt wird. Dennoch wirkt sie mit ihrer menschlichen Verhaltensweise und ihren einfachen Gedanken in dem coolen Indie-Streifen merkwürdig hausbacken und schräg – genau wie Gregs Lehrer McCarthy, der den Jungs einmal den an sich schönen Gedanken nahebringt, dass man auch nachdem ein Mensch gestorben ist, im Nachhinein immer wieder neue Seiten an ihm entdecken kann. Zu guter Letzt zwingt eine Freundin Rachels die beiden förmlich dazu – man ahnt und befürchtet es irgendwie schon – eine Art Abschlussfilm für die Todgeweihte zu drehen.

Greg schaut sich im Film immer wieder Ausschnitte aus Werner Herzogs “Die Last der Träume” (1982) an – doch eine hilfreiche Antwort auf die Last, die ein Krebsdrama einem Regisseur aufbürdet, konnte Gomez-Rejon letztlich wohl in keinem der von ihm verehrten Filme finden.

Stimme / Nov. 2016