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Foto: (c) Neue Visionen

Dirty Nils

Es ist noch gar nicht so lange her, da erregte Florian Schwarz mit seinem Tarantino-esquen Hessen-„Tatort“ „Im Schmerz geboren“ mediales Aufsehen. Erschreckend viele Personen kamen darin ums Leben. In Hans Petter Molands norwegischer Thrillerkomödie „Einer nach dem anderen“, die sicher an Tarantino, aber auch an die Coen-Brüder und Kaurismäki denken lässt, gibt es einen ähnlich hohen Bodycount. Während im „Tatort“ alle Toten in einem Schlussbild noch einmal zu sehen waren, werden bei Moland die Hingerichteten in der Reihenfolge ihres Ablebens in Schwarzbildern – mit Klar-und Gangsternamen und Konfessionsangabe – noch einmal gewürdigt. Das ist es womöglich, was den skandinavischen Humor vom deutschen unterscheidet.

Fest steht: Molands bitterschwarze Thrillerkomödie ist nichts für zarte Gemüter. Dabei beginnt eigentlich alles ganz harmlos. Der schweigsame Nils Dickman, dargestellt von Schwedens internationalem Exportschlager Stellan Skarsgård, ist ein zufriedener Familienvater, der mit seiner Schneepflugmaschine unermüdlich den Weg von seinem norwegischen Dorf Richtung Oslo freihält. Dafür ist er soeben zum „Bürger des Jahres“ ernannt worden. Doch die Freude über die Auszeichnung hält nicht lange an: Die Nachricht, dass sein Sohn an einer Überdosis Heroin gestorben sein soll, lässt Nils zur Waffe greifen. Die gedenkt er zunächst noch gegen sich selbst zu richten.

Doch kaum hat er sich den Gewehrlauf in den Mund gesteckt, wird er gestört. Bei dem Versuch, ihn wieder herauszuziehen, bleibt die Waffe bei der bitteren Kälte kurz an seinen Lippen kleben. Wer jetzt nicht lacht, der kann ebenso gut das Kino wieder verlassen, denn mit dieser Szene setzt der lakonische Regisseur Moland („Ein Mann von Welt“) Humormaßstäbe, die er im Verlaufe des weiteren Films eher noch in Richtung Geschmacklosigkeit unterwandern wird. Nils‘ Lebenssinnretter, der beste Freund seines Sohnes, erzählt, dass Drogendealer den Jungen umgebracht haben. Daraufhin beginnt er einen taktlos-komischen Rachefeldzug, der stellenweise jedoch zu brutal ist, um selbst die Lacher der hartgesotteneren Zuschauer noch wirklich auf seiner Seite zu haben.

„Dirty Nils“ mordet sich stoisch in der Gangsterhiearchie nach oben, bis er sich zum Grafen „emporgearbeitet“ hat. Pål Sverre Hagen brilliert in der von Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson ersonnenen Rolle dieses lächerlichen lokalen Drogenbosses, der den Laden von seinem Vater geerbt hat und mit seiner Ex-Frau im Dauerclinch liegt. Die Set-Designer tragen nicht nur durch die akribische Ausstattung seiner stylishen Villa zur Veranschaulichung seines lachhaft-psychopathischen Charakters bei.

Der „Graf“ wiederum macht eine rivalisierende serbische Gang für die Morde an seinen Bandenmitglieder verantwortlich, deren Anführer „Papa“ Bruno Ganz verkörpert. Auch seine Bande ist ein brutal-komischer Haufen, der zwischen Gewaltexzessen von den kostenlosen Zahnbehandlungen in den norwegischen Gefängnissen schwärmt …

Nach dem Motto Blut für Blut entbrennt nun ein wahnwitziger Bandenkrieg, der die von Kameramann Philip Øgaard gekonnt eingefangenen unschuldig-weiße Schneelandschaft ein ums andere Mal blutrot färbt – „Fargo“ von Coen-Brüden lässt grüßen. An seine offensichtlichen Vorbilder reicht Moland letztlich nicht ganz heran, dazu ist sein Film zu gnadenlos geradlinig geraten, doch sein „Dirty Nils“ hinterlässt einen bleibenderen Eindruck als so mancher dröge, skandinavische Krimi, der in „Günther Jauch“-freien Zeiten nach dem „Tatort“ läuft.

mehrdrauf / Nov. 2014