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Ich bin dein Albtraum

In »Dream Scenario« spielt Nicolas Cage einen Mann, der plötzlich in vieler Menschen Träume auftaucht

Wie fänden Sie es, wenn plötzlich völlig Fremde von Ihnen träumen würden? Würde Ihnen der plötzliche Ruhm gefallen? Genau das passiert nämlich Kultstar Nicholas Cage in Kristoffer Borgelis ungewöhnlichem Genre-Mix »Dream Scenario« – offensichtlich koproduziert von Ari Aster (»Midsommar«), der Borgelis Drehbuch anfangs selbst verfilmen wollte.

Allerdings ist der mittlerweile 60-jährige Cage, der 2023 mal eben sechs Filme abgedreht hat, in der Mischung aus Schwarzer Komödie, Drama und Horrorfilm kaum wiederzuerkennen: Als Evolutionsbiologe Paul Matthews trägt er eine Brille, hat eine Halbglatze und eine minimale Nasenprothese, die den »bemerkenswerten Niemand« ein wenig unheimlich wirken lässt. Paul ist recht glücklich verheiratet, hat zwei Teenager-Töchter, die ihn nicht gerade cool finden und muss täglich um die Aufmerksamkeit seiner Student*innen ringen.

Borgelis kluge Entscheidung, auf grobkörnigem 16mm-Filmmaterial zu drehen, vermittelt von Anfang an das Gefühl, hautnah einer Dokumentation über einen Durchschnittsmann beizuwohnen.

Eigentlich würde Paul bereits seit Jahren gern ein Buch über Ameisenintelligenz herausbringen, hat aber de facto noch keine Seite zu Papier gebracht. Als seine jüngere Tochter plötzlich wiederholt von ihm träumt, denkt er sich nichts dabei – außer dass ihn seine Passivität in ihren Träumen wurmt. Doch als er zufällig seine Ex-Freundin trifft, die auch von ihm träumt und er ihr geschmeichelt erlaubt, in ihrem Blog darüber zu schreiben, geht Paul plötzlich viral: Es stellt sich heraus, dass er zahlreichen Menschen nachts in ihren Träumen erscheint.

So träumt beispielsweise ein Student, er würde von einem blutüberströmten Riesen verfolgt und angegriffen, während der vorbeischlendernde Paul sich nur für in der Nähe wachsende Pilze interessiert. Eine Studentin findet sich im Traum in einem apokalyptischen Szenario wieder, durch das Paul ungerührt hindurchschreitet. Dennoch steigt Paul im sozialen Ansehen der Leute.

Die geniale Grundprämisse des englischsprachigen Debüts des Norwegers Borgeli, der bereits 2022 mit seiner bitterbösen Komödie »Sick of Myself« einen sarkastischen Blick auf die Welt der sozialen Medien geworfen hat, geht auf ein Phänomen namens »This Man« aus dem Jahre 2006 zurück. Angeblich hatten mehrere Tausend Menschen von ein und demselben Mann geträumt. Letztlich entpuppte sich das Ganze aber als Guerilla-Marketingkampagne einer Werbeagentur.

Paul genießt auf jeden Fall erst einmal den unerwarteten Ruhm und will ihn für sich nutzen, um endlich sein ungeschriebenes Buch herauszubringen. Wie praktisch, dass sich schon bald eine Influencer-Agentur einklinkt, um aus Pauls ungewöhnlicher Popularität Kapital zu schlagen. Mit diebischer Freude spielt Michael Cera den Boss dieser Agentur und auch Kate Berlant (Mary) und Dylan Gelula (Molly) haben sichtlich Spaß daran, hippe Branding-Managerinnen zu persiflieren.

Die Wendung am Schluss, die hier nicht verraten werden soll, in der unter anderem Succession-Star Nicholas Braun einen weiteren Influencer spielt, hätte es nicht unbedingt gebraucht – bereits in dieser großartigen Szene wird deutlich, welche irrsinnigen Kulturkriege heutzutage im Netz toben.

Mit Molly wendet sich Pauls Blatt. Sie träumt nämlich auch von ihm, allerdings ist er dort alles andere als passiv, denn er vergewaltigt sie wiederholt in ihren Träumen. Das scheint sie zu erregen – was letztlich zu einer recht bizarren Sexszene führt.

Doch Molly ist nicht die Einzige, die gewaltvolle Träume von ihm hat – auf einmal ist Paul Protagonist in zahlreichen Albträumen rund um den Globus. Für die Zuschauer*in wird es packenderweise immer schwieriger zu unterscheiden, ob es sich bei manchen Szenen um die Realität oder einen nach allen Regeln des Horrorgenres gedrehten Albtraum handelt.

In diesen Träumen darf Cage, der Meister des »Over-the-Top-Actings«, auch endlich wieder aufdrehen. Ansonsten agiert er erstaunlich zurückgenommen und beweist wieder einmal, was für ein wandlungsfähiger Schauspieler er ist, der dennoch allen Filmen, in denen er mitspielt, seinen Stempel aufdrückt. Man denke beispielsweise nur an seine grandiose Darstellung eines selbstmordgefährdeten Alkoholikers in »Leaving Las Vegas« für die er einen Oscar erhielt. Oder die Metakomödie »Massive Talent«, in der er sich selbst spielt. Oder seinen wahnwitzigen Dracula in »Renfield« und seinen einsamen Trüffeljäger in dem großartigen Gourmet-Drama “Pig”.

Nach und nach will keiner mehr etwas mit Paul zu tun haben, obwohl er niemandem etwas getan hat, wie er lange nicht müde wird zu betonen. Sogar seine Familie wendet sich von ihm ab.

Gegen Ende ergibt sich Paul in sein für unser Medienzeitalter typisches Schicksal, in dem man urplötzlich zu einer merkwürdigen Berühmtheit avancieren kann, aber ebenso schnell zu einer Unperson degradiert beziehungsweise vergessen wird. Resigniert stellt er fest, dass nicht einmal sein Buch unter dem von ihm vorgeschlagenen Titel »Dream Scenario« erschienen ist, sondern werbewirksam »Ich bin dein Albtraum« heißt.

Foto (c) Metropolitan Film Export

“Dream Scenario” in nd / März 2024