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Filmische Rollstuhlfahrt

Gus van Sant zeichnet in seinem Biopic “Don’t worry, weglaufen geht nicht” geschickt ein berührendes und unterhaltsames Porträt des alkoholkranken, behinderten Cartoonzeichners John Callahan.

Es gibt einen boshaften Cartoon des querschnittgelähmten Karikaturisten John Callahan, der drei Sheriffs in der Wüste zeigt. Sie stehen vor einem umgekippten Rollstuhl, einer konstatiert lakonisch “Don’t worry, he won’t get far on foot.” Dieses schwarzhumorige Statement, das bereits Titel von Callahans Autobiografie war, wählte der zweifach oscarnominierte Regisseur Gus Van Sant auch als Filmtitel für sein Biopic über den behinderten Cartoonisten. In der deutschen Fassung wurde daraus recht ungeschickt “Don’t worry, weglaufen geht nicht” – was eher an eine oberflächliche Sommerkomödie denken lässt. Ursprünglich wollte Van Sant dieses Projekt bereits vor 20 Jahren mit Robin Williams – mit dem er bereits “Good Will Hunting” gedreht hatte – in der Hauptrolle realisieren. Williams’ diversen Erkrankungen geschuldeter Suizid vor vier Jahren setzte diesen Plänen ein trauriges Ende. Nun ist der äußerst wandelbare Joaquin Phoenix (“Walk the Line”) in die schwierige Rolle des gelähmten Callahan geschlüpft. Er füllt sie mit großer Bravour aus.

Der großartige Geschichtenerzähler Van Sant, der auch das Drehbuch zum Film verfasste, welcher in Sundance seine Premiere feierte, rollt Callahans ungewöhnliche Lebensgeschichte vom Ende her auf: Der vor Lebensenergie sprühende Comiczeichner erzählt im Rollstuhl sitzend seinem ihm zujubelnden Publikum aus seinem Leben.

Mit 13 Jahren fing John Callahan (Joaquin Phoenix) an zu trinken, nie hat der Mann mit den unglaublich roten Haaren sein Trauma überwunden, dass seine irische Mutter ihn zur Adoption freigab. Fast dokumentarisch fängt Kameramann Christopher Blauvelt seinen bitteren Alltag zwischen Trinken und Partymachen ein.

Doch schließlich wird ihm eine Sauftour zum Verhängnis. Beim gemeinsamen Partyhopping baut sein sturzbetrunkener Kumpel Dexter (Jack Black) mit seinem Wagen einen schweren Unfall. Während Dexter selbst mit ein paar Kratzern davonkommt, ist Callahan fortan querschnittsgelähmt, kann seine Beine gar nicht mehr und seine Arme und Hände nur noch bedingt bewegen.

Trotz rührender Betreuung in der Reha durch die engelsgleiche Annu (Rooney Mara), die als stets beseelt lächelnde Figur und spätere Geliebte – im Gegensatz zu allen anderen Wegbegleitern – leider völlig unglaubwürdig wirkt, säuft John nach seiner Entlassung unbeirrt weiter und tyrannisiert alle, die seinen Weg kreuzen.

Bis er eines Tages eine Art Erleuchtung hat, die ihn zu den Anonymen Alkoholikern führt, wo er in die Gruppe des ein wenig zu jesusgleichen – von Jonah Hill jedoch genial gespielten – Donnie gerät. Beth Ditto, Ex-Sonic-Youth-Musikerin Kim Gordon und Udo Kier verkörpern einige der anderen schrägen, aber warmherzigen Gruppenmitglieder, bei denen John mit seiner Selbstmitleidstour fortan auf Granit beißt. So eine himmlische Truppe wünscht man sich zur alltäglichen Unterstützung – auch ohne Alkoholprobleme.

Wie John nun gemeinsam mit neuen Weggenossen das Zwölf-Schritte-Programm der AA durchschreitet und beginnt, seine abgrundtiefe Verbitterung in genial-bitterbösen Cartoons auszudrücken, macht den eigentlichen Schwerpunkt des Films aus. Dies wird von Van Sant glücklicherweise aber nicht langweilig linear als stetig voranschreitendes Erweckungserlebnis erzählt, sondern die Geschichte taumelt eher wie ein um seinen inneren Frieden ringender, rollstullfahrender Ex-Alkoholiker zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin und her.

Passend eingestreute Cartoons von Callahan über Dicke, Schwule, Schwarze, Behinderte, Alkoholiker, die von namhaften Magazinen gedruckt wurden, aber auch auf viel Ablehnung stießen, vervollkommnen die gut durchdachte Erzählstruktur. In Kombination mit dem vielschichtigen Hauptdarsteller bewirken sie, dass der Film gleichermaßen unterhaltsam wie auch erfrischend unkonventionell wirkt.

Stimme / Aug. 2018