Foto (c) Allegro Film/Wolfgang Thaler
Kino als Therapiestunde
Der österreichische Regisseur Michael Kreihsl bringt Daniel Glattauers Bühnenerfolg „Die Wunderübung“ nun auch auf die Kinoleinwand.
„Solche Übungen kann man nur mit Menschen machen, mit denen man solche Übungen auch machen kann, aber nicht mit meiner Frau!“, stöhnt der Ehemann beim Paartherapeuten. Für jedes Paar, das schon sehr lange zusammen ist, kann das gemeinsame Anschauen von Michael Kreihsls Beziehungskomödie zur titelgebenden, erhellenden „Wunderübung“ werden. Raffiniert, wie die literarische Vorlage von Daniel Glattauer die Komplexität langjähriger Beziehungen und ihre vertrackten Dynamiken aufdeckt. Kreihsl hat die Romanvorlage bereits erfolgreich als Theaterstück inszeniert. Aglaia Szyszkowitz brilliert sowohl auf der Bühne als auch im filmischen Kammerspiel als frustrierte und scharfzüngige Ehefrau. Den verstockten Ehemann mimt dieses Mal der wandlungsfähige Devid Striesow, mit dem Kreihsl schon „Liebe möglicherweise“ drehte.
Zu Beginn sieht man zwei Menschen mittleren Alters in der Wiener U-Bahn. Sie sitzen nicht zusammen, beiden ist die Situation offensichtlich unbehaglich. Nicht im Traum würde man darauf kommen, dass diese beiden ein langjähriges Ehepaar sind, doch tatsächlich: Beide begeben sich in das Haus eines Paartherapeuten (Erwin Steinhauer) – sie nimmt die Treppe, er den Aufzug. Der Rest des 90 Minuten langen, aufgrund der grandiosen und nur gelegentlich zu theatralisch geratenen Schauspielerleistungen dennoch kurzweiligen Films spielt sich fortan in „Echtzeit“ im Behandlungszimmer des zunächst namenlosen Herrn Magister ab.
Der gibt anfangs routiniert den freundlich zugewandten, etwas schusselig wirkenden Therapeuten. Das erste Wortgefecht der nicht auf den Mund gefallenen Historikerin Joana (Aglaia Szyszkowitz) und des Luftfahrtingenieurs Valentin (Devid Striesow) lässt nicht lange auf sich warten. Entweder man zuckt empfindlich im Kinosessel zusammen ob des Sprengstoffes, der fortan permanent in der Luft liegt, oder man versucht sich gelegentlich an einem befreienden Lacher.
Die Rollen des an Schlagfertigkeit kaum zu überbietenden Ehepaares, denen ihr Therapeut eine „perfekt eingespielte Streitkultur auf hohem Niveau“ attestiert, sind eindeutig verteilt: Sie redet sich in Nullkommanichts in Rage, er schweigt tendenziell eher beleidigt oder weicht aus. Schuld suchen die beiden nur beim anderen, jeder weiß im Voraus, was der andere sagen oder wie er reagieren wird.
Der etwas spleenige Therapeut Harald, den man als Zuschauer rasch ins Herz schließt, leitet sie zu Rollenspielen und Übungen an. So sollen sie sich beispielsweise mit geschlossenen Augen vorstellen, ihre Probleme hätten sich in Luft aufgelöst – was durch den Niesanfall Valentins jedoch misslingt. Beim Rollentausch mit Kasperlepuppen bleibt einem das Lachen ob der Boshaftigkeit des 17 Jahre verheirateten Ehepaares, das gemeinsam zwei Kinder großgezogen hat, im Halse stecken.
Kameramann Wolfgang Thaler holt aus diesem perfekt getimten Wechselspiel aus höhnischen Worten, unzweideutigen Gesten und finsteren Blicken alles heraus. Allerdings muss man sich dieses filmische Kammerspiel, das zuweilen an die ähnlich geartete schwarze Komödie „Der Gott des Gemetzels“ von Roman Polanski erinnert, nicht unbedingt auf der großen Leinwand anschauen.
Der Paartherapeut, der zwischendurch fragt, warum sich die beiden eigentlich nicht trennen, wirkt zunehmend entnervter und abwesender, nickt ein, kleckert sich Joghurt auf das Hemd und trinkt Alkohol. Schließlich zieht der gewiefte Profi sein letztes Ass aus dem Ärmel: die „paradoxe Intervention“. Ob es ihm damit gelingen wird, das zutiefst verkrachte Paar wieder zusammenschweißen, sollte man in dieser Kino-Therapiestunde selbst herausfinden.
Stimme / Juni 2018