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Foto (c)  Film Kino Text / Robert Palka

Aufstand der Tiere?

„Tiere haben keine Seele“ behauptet der erbarmungslose Pfarrer und fanatische Jäger in dem Film „Die Spur“ von Agnieszka Holland. Die für „Der Hitlerjunge Salomon“ und andere Werke bereits mehrfach oscarnominierte Regisseurin zeichnet in ihrem erfrischend anarchistischen Film, der sowohl mysteriöser Ökothriller, gesellschaftskritisches Märchen und groteske Detektivgeschichte ist, ein düsteres Bild von ihren patriarchalischen Landsmännern. Doch den sadistischen Supermachos, die dem Roman „Der Gesang der Fledermäuse“ der Nobelpreisanwärterin Olga Tokarczuk entsprungen sind und alles abknallen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, setzt Holland eine Öko-Miss-Marple entgegen, die wahrlich mitreißend von Agnieszka Mandat verkörpert wird.

Janina Duszejko (Mandat), eine pensionierte Brückenbauerin, radikale Tierschützerin und Hobbyastrologin lebt am Waldrand einer Kleinstadt, deren männliche Bewohner beinahe durchweg von der Jagd besessen sind. Eines Tages kommen zu Duszejkos Entsetzen ihre geliebten Hunde nicht mehr zurück und sie vermutet das Schlimmste. Wenig später findet sie gemeinsam mit ihrem Freund Matoga (Wiktor Zborowski) einen berüchtigten Wilderer tot in seinem Häuschen – erstickt an einem Tierknochen.

Doch er wird nicht der Einzige bleiben. Im Verlauf des Films, der in Handlungskapitel unterteilt ist, die sich nach dem Jagdkalender richten, werden weitere Jäger ermordet. Und immer wieder gibt es verdächtige Tierspuren neben den Leichen. Reglos und starr beobachten die Tiere des Waldes aus kurzer Entfernung den jeweiligen Tatort.

Kamerafrau Jolanta Dylewska weiß den Blickwinkel der anscheinend revoltierenden Vierbeiner stets in unheimliche Bilder zu packen. Diese und andere Sequenzen in dem gelungenen Genre-Mix, der auch als Serie funktioniert hätte, erinnern an „Twin Peaks“. Ebenso wie in der skurrilen Serie von David Lynch gibt es neben den widerlichen Honoratioren und Gaunern der Stadt, denen die resolute Rentnerin regelmäßig erfolglos die Leviten in Sachen Tierrechte liest, auch ein paar nach dem Guten strebende Figuren. So kümmert sich die exzentrische Vegetarierin beispielsweise um das benachteiligte, junge Mädchen Dobra Nowina (Patrycja Volny), das sie jedoch nur „Frohe Botschaft“ nennt – weil sie ihr vorkommt „als käme sie aus einer anderen Welt, um all unsere Sünden kennenzulernen.“ „Frohe Botschaft“ arbeitet nebenbei in einem Bordell, das an den Puff in „Twin Peaks“ erinnert.

Neben ihrem melancholischen Nachbarn Matoga und dem epileptischen IT-Spezialisten Dyzio (Jakub Gierszal), der seine Beeinträchtigung vor seinen gnadenlosen Mitmenschen stets zu verbergen sucht, schart die dogmatische Außenseiterin noch den tschechischen Insektenkundler Boros (Miroslav Krobot) um sich. Mit diesem Andersdenkenden gönnt sich die rüstige Dame sogar eine Affäre.

Man fragt sich bis zuletzt in diesem bissigen, filmischen Abgesang auf unseren entfremdeten Umgang mit der Natur und ihren Geschöpfen, auf Männlichkeitswahn und eine von antidemokratischen Patriarchen dominierte Herrschaftsordnung, ob sich die Tiere tatsächlich endlich gegen ihre Peiniger erhoben haben. So ist es nur folgerichtig, das der ungewöhnliche Öko-Thriller 2017 auf der Berlinale den Silbernen Bären für einen „Film der neue Perspektiven“ eröffnet , erhalten hat.

Nordbuzz / Jan. 2018