Foto (c) 2017 Concorde Filmverleih GmbH
Der alte Mann und seine Frau
Ein betagtes Ehepaar begibt sich auf die Spuren Hemingways – und ihres langen, gemeinsamen Lebens.
In einer der berührendsten Szene des Roadmovies „Das Leuchten der Erinnerung“ von Regisseur Paolo Virzì schaut sich ein altes Ehepaar am Abend, draußen auf irgendeinem Campingplatz an der Ostküste, Dias von seiner Familie an. Nach und nach gesellen sich neugierig Menschen unterschiedlichen Alters hinzu, um an diesem seelenvollen Moment teilzuhaben, in dem die Eheleute auf ihr gemeinsames Leben zurückblicken. Die Dramödie ist ein Film für Jung und Alt und kein typisches Age Movie: Es geht schlicht und ergreifend darum, dass wir alle im Laufe unseres Lebens Dinge tun, über die wir später glücklich sind – oder die wir bedauern. Und es geht darum, wie uns am Ende all diese Dinge, diese wertvollen Erinnerungen, unweigerlich aus den Händen gleiten.
Zudem ist dem italienischen Regisseur mit seinem englischsprachigen Debüt und seinen betagten Hauptdarstellern Donald Sutherland und Helen Mirren ein mitreißendes Stück Schauspielerkino gelungen, in dem die beiden wieder einmal alle Register ihres Könnens ziehen.
Eines Morgens steigen Ella (Mirren) und ihr Ehemann John (Sutherland) einfach in ihr klappriges Wohnmobil „The Leisure Seeker“, drehen Janis Joplins „Me and Bobby McGee“ voll auf und machen sich auf den Weg nach Key West, wo sie sich Hemingways Haus anschauen wollen. Die erwachsenen Kinder Jane (Janel Moloney) und vor allem ihr Bruder Will (Christian McKay) kommen fast um vor Sorge, als sie das Verschwinden ihrer Eltern bemerken – schließlich ist nicht nur ihr Vater, sondern auch ihre Mutter krank. Das alte Ehepaar versucht jedoch, seinen letzten Trip zu genießen: Szenen beeindruckender Vertrautheit zwischen den beiden wechseln ab mit Begebenheiten, in denen der nicht aufzuhaltende Autonomieverlust des kranken Ehepaares nicht mehr von der Hand zu weisen ist.
Im Gegensatz zum gleichnamigen Roman von Michael Zadoorian, den Virzì gemeinsam mit Stephen Amidon, Francesca Archibugi und Francesco Piccolo adaptiert hat, wurde die Geschichte in das US-Wahlkampfjahr 2016 verlegt. Dies führt zu einer tragikomischen Szene, in der der zunehmend unter Demenz leidende John – Zeit seines Lebens Demokrat – sich voll kindlicher Unschuld unter Trump-Anhänger mit ihren dämlichen „Make America Great Again“-Kappen mischt und von seiner genervten Frau zurückgepfiffen wird. Auch Amerika hat mit Intelligenzverlust zu kämpfen, scheint der Regisseur dem Zuschauer auf einer feinsinnigen, zweiten Ebene wiederholt sagen zu wollen.
Dank der atemberaubenden Schauspielerleistung der beiden Altstars wird der Zuschauer in dieses Wechselbad der Gefühle vollends hinein gesogen – wenngleich der Film leider auch ein paar Längen aufweist. Man lacht und weint jedoch zugleich, wenn der ehemalige Professor John zumeist recht unbelesenen Kellnerinnen Vorträge über Hemingway hält, wenn er seine Frau an der Tankstelle vergisst oder Kleinganoven empfiehlt, Abendkurse zu besuchen, um ihre Grammatik zu verbessern.
Dabei gelingt es Sutherland, dem demenzkranken John so viel Würde zu verleihen, dass man niemals bloß albern über seine erschreckende Vergesslichkeit kichert. Mirren dagegen fesselt den Zuschauer mit ihrer gelegentlich von der Krankheit ihres Mannes tief frustrierten, aggressiven Art, hinter der aber immer wieder die tiefe Liebe zu ihrem einst so charmanten Lebensgefährten durchschimmert.
So zittert man mit dem stets realistisch und nie zuckersüß wirkenden Paar mit, als John aus Schusseligkeit von einer lang geheim gehaltenen Affäre erzählt und hofft bis zum Schluss, dass all die guten Erinnerungen, die der alte Mann und seine Frau teilen, die schlimmen letztlich aufwiegen mögen
Weser Kurier / Jan. 2018