Foto (c) 2018 TOBIS Film GmbH
Motten und Echsen
Keine Heldin ohne romantische Liebe: »Die Frau, die vorausgeht« handelt von einer politisch engagierten Künstlerin.
Auch heute noch werden sie von den Weißen ihrer Lebensgrundlagen beraubt: die Sioux-Indianer vom Standing Rock im Bundesstaat Dakota, wo Susanna Whites Drama »Die Frau, die vorausgeht« spielt. 2016 protestierten die Sioux gegen den Bau einer Pipeline durch das heilige Land ihrer Vorfahren, da diese eine Bedrohung für ihre Wasserversorgung darstellt. Obamas Regierung stoppte das Vorhaben, doch Donald Trump, der übrigens als Unternehmer in das Projekt involviert war, genehmigte es wieder.
In dem vor knapp 130 Jahren spielenden Historiendrama erzählt die Regisseurin nun die fiktionalisierte Geschichte der eigenwilligen Aktivistin Catherine Weldon, die sich im realen Leben scheiden ließ, ein uneheliches Kind bekam und mit diesem zu den Indianern zog, um für die Rechte der Ureinwohner zu kämpfen
Im Drehbuch von Steven Knight wird daraus ärgerlicherweise die wohlhabende Witwe Catherine aus New York, die mit recht naiven Vorstellungen nach Dakota fährt, um den großen – leider sehr blass gezeichneten – Häuptling Sitting Bull (Michael Greyeyes) zu malen, der in der legendären Schlacht um Little Big Horn die US-Truppen besiegte.
Einen Blick wert ist der Film dennoch, vor allem dank des guten Regiehändchens von White und der herausragenden Schauspielerleistung von Jessica Chastain (»Zero Dark Thirty«). 1890 wirft sie in ihrer Rolle als Kunstmalerin das Porträt ihres verstorbenen Mannes mit Genugtuung in den Kanal und fährt mit dem Zug zu den Dakota-Indianern.
Doch Regierungsagent James McLaughlin (Ciarán Hinds) und Colonel Silas Groves (Oscarpreisträger Sam Rockwell) sind alles andere als begeistert von ihrem Vorhaben. Schließlich setzen sie gerade die Indianer massiv unter Druck, Papiere zu unterschreiben, die sie fast ihres ganzen Landes berauben.
Doch Catherine beweist Durchsetzungskraft und Stehvermögen, es gelingt ihr, an Sitting Bull heranzukommen – und anders als in Wirklichkeit beginnt sie sich erst durch die Begegnung mit dem imposant-melancholischen Krieger, in den sie sich allmählich verliebt, für Indianerrechte zu interessieren. So beschleicht den Zuschauer das ungute Gefühl, das patriarchalische Hollywood-System hätte wieder einmal zugeschlagen und keine Heldin zugelassen, die nicht durch romantische Liebe motiviert ist.
Immerhin begegnen sich Frau und Mann auf Augenhöhe, und die zarten Funken, die zwischen den beiden sprühen, kann man auch noch in der hintersten Kinoreihe spüren. Doch weder der ungewöhnlichen Liebesgeschichte noch dem Drama um den letzten großen Widerstand gegen die Kolonialherren wird genug Raum gegeben – stattdessen präsentiert uns Kameramann Mike Eley immer wieder Nahaufnahmen von Motten und Echsen, als wolle White ihre Verlegenheit ob der Drehbuchschwäche zum Ausdruck bringen.
Catherine empfiehlt dem Häuptling, der ihr den titelgebenden Namen verpasst, sich mit demokratischen Mitteln gegen eine weitere Enteignung des Landes zur Wehr zu setzen. Doch das Unrecht ist letztlich nicht aufzuhalten und wiederholt sich heute in abgewandelter Form, trotz ambitionierter Filme und empörter Geschichtsaufarbeitung.
“Die Frau, die vorausgeht” in nd von Juli 2018