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Foto: (c) Capelight

Du wirst ihn nicht mehr los

Laut einer brandaktuellen israelischen Studie, die unter dem Hashtag #RegrettingMotherhood in den letzten Wochen durch soziale Medien und Feuilletons geisterte, bereuen manche Frauen ihre Entscheidung für Kinder. Der heillos überforderten Mutter eines hyperaktiven Quälgeistes geht es im Psychohorror-Drama „The Babadook“ genauso. Eingestehen kann sie sich das zu Beginn des faszinierenden Langfilmdebüts der australischen Regisseurin Jennifer Kent jedoch nicht. Der tödliche Unfall ihres Mannes in der Geburtsnacht des Sohnes hat die arme Frau schwer traumatisiert. Dennoch versucht sie, Trauer und Bedürfnisse zurückzustellen, um gut für ihren Sohn zu sorgen.

Amelia (Essie Davis) und Samuel (Noah Wiseman) leben in einem in düsteren Haus, das den gemeinsamen Gemütszustand ihrer nicht überwundenen Trauer beeindruckend zur Geltung bringt. Unterbewusst lehnt die durchweg müde und erschöpft wirkende Mutter ihren Sohn ab, kann ihn nicht wirklich lieben. Dieses widersprüchliche Verhalten wird von Davis atemberaubend nuanciert gespielt und von Regisseurin Kent, auf deren preisgekröntem Kurzfilm „Monster“ (2005) der „Babadook“ basiert, genial in Szene gesetzt. Und das so überzeugend, dass man Mitgefühl und Verständnis für Amelia empfindet – selbst wenn sie ihren Sohn anherrscht oder mit Schlafmitteln ruhig stellen will.

Samuel, ebenfalls beinahe unheimlich perfekt von dem erst sechsjährigen Wiseman verkörpert, reagiert auf das widersprüchliche Benehmen der Mutter und die beklemmende Atmosphäre im gemeinsamen Heim mit extremen Verhaltensauffälligkeiten, Angst- und Panikattacken. Eine realistische Exposition, die an Meisterwerke wie Roman Polanskis „Rosemary’s Baby“ (1968) erinnert.
Kurz vor seinem siebten Geburtstag, der tragischerweise mit dem Todestag des Ehemanns und Vaters zusammenfällt, kramt der Junge ein mysteriös-grausames Kinderbuch hervor. Es trägt den titelgebenden Namen „Der Babadook“. Die Ängste des Jungen eskalieren nach der gemeinsamen Lektüre des eigentümlich faszinierenden Pop-Up-Buchs, das von Illustrator Alexander Juhasz für den Film wunderbar gestaltet wurde. Samuel behauptet fortan, der „Babadook“ habe sich im Haus eingenistet, um ihn zu holen. Später bei einem Partygespräch, das die bemitleidenswerte Amelia mit „perfekten Müttern“ führt: Man erfährt, dass sie ihre Schreibkarriere aufgegeben hat, um in einem freudlosen Job als Altenpflegerin für ein sicheres Einkommen zu sorgen. Die Mutter hat ihren Traum für den Sohn aufgegeben – und plötzlich bekommt das Buch noch einmal eine andere Bedeutung: Schrieb Amelie es womöglich selbst? Oder existiert es etwa nur in der Fantasie der dysfunktionalen Restfamilie, die lernen muss, dem übermächtigen Geist des Vaters ins Auge zu schauen? Diese vielschichtigen Interpretationsebenen, mit denen Autorin und Regisseurin Kent ihren Film ausstattet, heben selbigen weit aus der effekthascherischen Masse an Horrorfilmen hervor. Eine schockierende Inszenierung beherrschen Kent und ihr Team im übrigen trotzdem.

Zunächst bleibt der altmodisch-expressionistisch wirkende Babadook mit seinem Zylinder und den spitzen Krallen noch unsichtbar: Lediglich unheimliche Geräusche, sich wie von Geisterhand öffnende Türen und widerliche Kakerlaken, die aus einem Loch in der Wand krabbeln, weisen auf seine Gegenwart hin. Er scheint im Keller des Hauses zu wohnen – dort wo Amelia die Hinterlassenschaften ihres Mannes aufbewahrt. Die Selbstbeherrschung und der Verstand entgleisen der Mutter zusehends. Sie versucht sich gegen den omnipräsenten Babadook mehr und mehr zu wehren – doch das Wesen wird dadurch nur stärker. Amelie isoliert sich und ihren Sohn zunehmend, bald schon halluziniert sie sich zwischen Bildausschnitten aus Georges-Méliès-Filmen selber als Kindsmörderin.

Meisterhaft doppelbödig vermischt Kent das Genre des Horrorfilms mit dem des Psychodramas und schafft so ein zutiefst beklemmendes Werk, das aber zugleich leise Hoffnung auf die Kraft individuell gelebter Mutterliebe versprüht. Genau wie den Babadook wird man diesen Film nicht mehr los.

Stimme / Mai 2015