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(c) Foto: Thomas Otto

Nicht mehr weinen

Eine bewegende Dokumentation über die Musikerin Bettina Wegner

„Aufrecht steh’n, wenn and’re sitzen, Wind zu sein,wenn andere schwitzen, lauter schrei’n, wenn andere schweigen“: Das sind nur drei von zehn Geboten, die sich die Liedermacherin Bettina Wegner selbst gab und in einem ihrer seelenvoll-widerständigen Songs verewigte. Ihre persönlichen Regeln, denen die 1947 geborene Wegner stets treu blieb, gliedern neben Proben zu einem  Auftritt der heute 74- jährigen und alten Konzertmitschnitten, den berührenden Dokumentarfilm „Bettina“ von Lutz Pehnert. Er ist intimes Porträt einer liebenswerten Rebellin und aufregendes Zeugnis des Lebens in der DDR zugleich. Archivaufnahmen aus dem Alltag in der „Ostzone“ bereichern den Film zusätzlich. 

„BeimVersteckspiel sich zu zeigen“, heißt ein weiteres, gesungenes Gebot Wegners – dies konnte in der DDR jedoch äußerst riskant sein. Dennoch gibt die junge Bettina 1968 in einem Stasi-Verhör, dessen Audio-Mitschnitt dem Film ebenfalls auf kunstvolle Weise Struktur gibt, ganz naiv-unverblümt zu, dass sie „staatsfeindliche“ Flugblätter nur aus dem Grunde geschrieben habe, weil sie in der DDR keine Möglichkeit sah, ihre Meinung einfach öffentlich kundzutun. Die rund 40 Flugblätter, die die sympathisch- naiveWegner in ein paar Briefkästen gestopft hatte, richteten sich gegen das gewaltsame Ende des Prager Frühlings. Es ist nicht zum letzten Mal in dieser sehenswerten Doku, dass man denkt, hier wird eine Sozialistin im besten Sinne, Stück für Stück aus ihrem Heimatland, das sich diese Staatsform eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat, vergrault. 

Wegners Eltern waren erst kurz vor dem Mauerbau nach Ostberlin umzogen, da der Vater in Ostgeld bezahlt wurde und sie die Wohnung im Westen nicht halten konnten. Wäre der Vater mit Westgeld bezahlt worden, so wäre die Sängerin mit der ausdrucksstarken Stimme wahrscheinlich im Westen aufgewachsen und hätte, wie es eigentlich ihr Plan war, nur traurige Liebeslieder gesungen – was für eine Laune des Schicksals! Zur Strafe für die paar mit der Hand geschriebenen Flugblätter wurde die aufrechte,  junge Frau dann von der Schauspielschule exmatrikuliert, erhielt eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten auf Bewährung und musste sich in der Produktion eines Berliner Elektro-Apparate-Werks bewähren. Zu der Zeit war sie gerade mal 21 Jahre alt und soeben Mutter eines Kindes geworden – mit dem Schriftsteller Thomas Brasch.

Ach ja, das Liebesleben von Bettina Wegner. Auch dies kommt in Pehnerts berührender Doku nicht zu kurz. Freimütig und kettenrauchend – allerdings mit Zigarettenspitze – berichtet Wegner, die grauen Haare zum Zopf gebunden, darüber. Ganz getreu ihrem sechsten Gebot „nie als andere zu erscheinen“. Thomas Brasch verließ sie, da er zu viele Affären hatte, sagt Wegner. Von ihrem Mann, dem Autor Klaus Schlesinger, den sie 1970 heiratete, damit sie eine Wohnung bekamen, ließ sie sich 1982 scheiden. Nach Mauerfall wies ihr Ex-Mann sie bei Durchsicht der Akten darauf hin, dass die Stasi ganz inoffiziell alles dran gesetzt hatte, ihre Ehe zu „zersetzen“. Mit der ihr eigenen, sympathischen „Berliner Schnauze“ gibt sie jedoch im Interview zu, dass sie daraufhin zu ihrem Ex gesagt habe: „Ne, dit haben wir janz alleene hinbekommen.“ Ihren dritten Lebensgefährten lernte sie inWestdeutschland kennen, mit ihm hatte sie eigentlich alt werden wollen, aber da kam ihr leider ihre Schwäche für Stalins Lieblingslied in die Quere. Als Oskar Lafontaine das Lied für sie bei einer Zusammenkunft nach einem ihrer Konzerte auf georgisch sang, war’s um sie geschehen.

Doch die Affäre währte nicht lang. Seit 1983 lebt Wegner im Westen, den die gewaltsam Entwurzelte immer noch „drüben“ nennt. Sie lacht, als sie erzählt, wie sie damals das Häuschen an still gelegten Bahnschienen bezog. Ausreisen wollte sie ursprünglich gar nicht. Drei Jahre besaß sie einen Pass mit dem sie als „Devisenbringerin“ im Westen Konzerte geben konnte. Man ging davon aus, dass sie, die sich 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns solidarisiert hatte und in Ungnade gefallen war, irgendwann abhauen würde. Doch Wegner blieb. „Hoffnung haben beim Ertrinken“ war schließlich ein weiteres ihrer Gebote. Als ihr Pass abgelaufen war, machte die Schergen des Spitzelstaates ihr klar, dass sie in dem angeblich sozialistischen Staat kein Bein mehr auf den Boden bekommen würde. Zudem drohte ihr erneut Gefängnis, sollte sie sich weigern, ausgebürgert zu werden. Also zog die Liedermacherin, die den meisten Menschen durch ihren – auch von Joan Baez interpretierten – Song „Sind so kleine Hände“ bekannt ist, schweren Herzens nach West-Berlin. Gern hätte man noch mehr über das Leben dieser aufrechten Frau nach ihrer Ausbürgerung erfahren. Sie sei heute gläubig, sagt sie gegen Ende des Films mit Tränen in den Augen. „Bei Verletzung nicht mehr weinen“, das letzte ihrer selbst auferlegten Gebote, sei ihr leider nie wirklich gelungen.

In “Die Rheinpfalz” von März 2022