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Foto (c) Universum Film

Leugnen und leisten

»Bernadette«: Die Fünfzigjährige, die aus dem Badezimmerfenster stieg und verschwand…

Der hauptsächlich aus Briefen und E-Mails zusammengesetzte Roman »Where’d You Go, Bernadette« der Sitcom-Autorin Maria Semple (»Verrückt nach Dir«) war 2012 ein Riesenerfolg. 50 Wochen stand der Roman über die Lebenskrise einer sensiblen und überaus kreativen Frau und Mutter auf der Bestseller-Liste der »New York Times«. Kein Wunder, denn die Frage, was mit Menschen geschieht, die ihre kreative Ader verleugnen, berührt viele, die in der erbarmungslosen Leistungsgesellschaft unterwegs sind.

So durfte man gespannt sein, was Autorenfilmer Richard Linklater – der zuletzt mit seinem sechsfach mit dem Oscar prämierten Langzeitprojekt »Boyhood« bewiesen hat, dass er das verminte Gelände der modernen Mutterschaft ganz gut kennt – aus dem Stoff macht. Zunächst einmal bewies er wieder ein gutes Händchen für die Besetzung. Die zweifache Oscarpreisträgerin Cate Blanchett brilliert in ihrer Rolle der titelgebenden, exzentrischen Bernadette Fox, die ebenso mitten in einem Nervenzusammenbruch steckt, wie die auch von Blanchett dargestellte Ex-Park- Avenue-Gattin in Woody Allens »Blue Jasmine«. Newcomerin Emma Nelson, die die 15-jährige Tochter der ehemaligen Stararchitektin verkörpert, kann Blanchett durchaus das Wasser reichen.

Dramaturgisch hat das arg konstruiert wirkende Skript, das Linklater zusammen mit zwei Ko-Autoren verfasste, jedoch leider einige Schwächen. Zuerst nehmen die Drehbuchschreiber unsinnigerweise die Auflösung der Geschichte vorweg und vergeben so Spannungspotential. Zu Beginn sieht man Bernadette in einem Kajak an den von Linklaters Stammkameramann Shane F. Kelly beeindruckend eingefangenen gigantischen Eisriesen in der Antarktis vorbei paddeln. Doch eigentlich lebt die ehemalige Architektin völlig zurückgezogen mit ihrem dauerarbeitenden, sehr gut verdienenden Mann Elgin (Billy Crudup) und ihrer hochbegabten Tochter in einem von Brombeerhecken umrankten ehemaligen Kinderheim in der Nähe von Seattle. Allein das exzentrische Anwesen gibt der Tragikomödie einen märchenhaften Touch, ebenso wie die Tatsache, dass die Familie Fox unverschämt reich ist – was wiederum ein wenig bedauerlich ist, denn die universell gültige Thematik der Geschichte wird dadurch verwässert.

Mit ihren Nachbarn steht die sich divenhaft gebende Bernadette auf dem Kriegsfuß, insbesondere mit der Vorzeigevorstadtmutti Audrey (Kristen Wiig), mit der die Misanthropin sich wiederholt einen köstlichen verbalen Schlagabtausch liefert. Als Audrey sie nötigt, die Brombeerbüsche an der Grundstücksgrenze zu entfernen, setzt dies Ereignisse in Gang, die Bernadettes ohnehin aus den Fugen geratenes Leben vollends zur Erosion bringen.

Leider wird ihre Leidensgeschichte als Architektin und auch als Mutter hauptsächlich erzählt und nicht gezeigt. Über ihre künstlerische Karriere erfährt man aus einem ungeschickt eingebundenen YouTube-Clip, zudem trifft sich Bernadette mit einem ehemaligen Professor, dem sie auch von ihren vier Fehlgeburten erzählt. Unterdessen redet ihr Mann mit einer Therapeutin, berichtet von seiner tablettensüchtigen und von Depressionen geplagten Frau.

Erzählerisch wunderbar gelungen sind jedoch alle Szenen mit Bernadette und ihrer Tochter. Wenn die sensible Bernadette mit Bee im Auto zu Cyndi Laupers »Time After Time« mitsingt und dabei vor Rührung in Tränen ausbricht, versteht man zum einen, weshalb sich die Stararchitektin in ihre Mutterrolle gestürzt hat, zum anderen jedoch auch, was für einen hohen Preis sie dafür ge- zahlt hat.

„Bernadette“ in nd von Nov. 2019