No, no, no!
Von Gabriele Summen und Maurice Summen
Es folgten »Rocketman« über Elton John, »Elvis« und kürzlich auch »Bob Marley: One Love«. Nun hat die »Fifty Shades of Grey«-Regisseurin Sam Taylor-Johnson einen Spielfilm über Amy Winehouse unter dem Titel »Back to Black« in Szene gesetzt, benannt nach dem zweiten und tragischerweise schon letzten Erfolgsalbum der Künstlerin, erschienen fünf Jahre bevor sie an einer Alkoholvergiftung starb.
Das Leben der Janis Joplin der Generation X zu verfilmen, ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Denn wie viel autobiographisch verwertbares Material hat eine Künstlerin hinterlassen, die gerade mal 27 Jahre alt und von den Medien extra-mystisch und dramatisch dem »Club 27« zugeordnet wurde?
Bereits mit 20 wird Winehouse zu einer Person des öffentlichen Interesses. Noch dazu eine, die mit Alkohol und anderen Substanzen schwer zu kämpfen hat beziehungsweise versucht, damit ihre Ängste und Dämonen zu besiegen. Im Grunde beruht das Wissen über Amy Winehouse zumeist auf Geschichten, die die Boulevardmedien kolportiert haben und die mit losen autobiographischen Fäden aus ihren Songtexten und Interview-Schnipseln verwoben werden. Skandalöse, oft schwer zugedröhnte Live-Auftritte inklusive.
Der Ruf des Vaters Mitch Winehouse
Andere Informationen stammen aus dem Buch, das Mitch Winehouse, ein ehrgeiziger Vater, der seine Tochter leider oft genug den Medien ausgeliefert hat, statt sie zu schützen, nur ein Jahr nach Amys Tod veröffentlichte. In »Meine Tochter Amy« schildert der ehemalige Taxifahrer und Musiker, dem die Künstlerin ihre Liebe zum Jazz zu verdanken hat, detailreich die Drogenexzesse der Tochter und die Unterstützung, die er ihr gewährt haben will – angeblich, um anderen Eltern von suchtkranken Kindern zu helfen, vielleicht aber auch nur, um seinen eigenen Ruf wiederherzustellen, der nicht zuletzt durch die oscarprämierte Doku »Amy«des britischen Regisseurs Asif Kapadia reichlich angeknackst war. Bei »Back to Black« soll Mitch nun als Berater fungiert haben.
»Ich möchte, dass die Leute meine Stimme hören und ihre Sorgen für fünf Minuten mal vergessen«, schreibt Amy, als sie sich mit zwölf an einer Theaterschule in London bewirbt – ein Satz, der sowohl in Mitch Winehouse’ Buch als auch im neuen Spielfilm zitiert wird.
Der Film zeigt Winehouse als 18jährige, die nach der Trennung der Eltern immer noch zwischen der Wohnung der Mutter und der des Vaters pendelt. Gespielt wird sie von Marisa Abela, die zuletzt in der Rolle der Teen Talk Barbie in Greta Gerwigs »Barbie« zu sehen war. Bereits in den ersten Minuten wird deutlich, dass sie den komplexen Charakter der Sängerin nicht ausfüllen kann. Das ist nicht Amy, denkt man als Fan, der ihre selbstkomponierten Songs wieder und wieder gehört hat – Lieder, die die Zuhörer:innen auf die wilde Achterbahn der Gefühle eines empfindsamen Menschen mitnehmen. Dass man diesem Abgründigen auf die Spur zu kommen hoffte, ist sicher ein Grund, warum man Nick Cave und seinen treuen Gefolgsmann Warren Ellis mit dem allerdings eher beiläufigen Score beauftragt hat.
Wohlwollend-trauriges Musical-Märchen
Von Beginn an wirkt der Film wie ein wohlwollend-trauriges Musical-Märchen über eine junge Frau, die mit einer großartigen Stimme gesegnet ist, die aber leider den falschen Mann geliebt hat, durch den sie mit harten Drogen bekannt wird. Letztlich wollte sie auch nur eine eigene Familie und zerbrach, als sich der Traum von der Mutterschaft nicht erfüllte.
Abela, die in dem Film selbst singt, muss man zugestehen, dass sie recht nah an Winehouse’ dunkle Stimme herankommt. Aber dafür geht man dann doch lieber in eine Karaoke-Bar. Oder in einen Jazzclub.
Auch wenn Winehouse im Popgeschäft reüssierte, steht sie mit ihrer Stimme in der Tradition der großen Jazzsängerinnen des vorigen Jahrhunderts, von Sarah Vaughan bis Dinah Washington. Und so sieht sich Winehouse auch zu Beginn ihrer Karriere, wenn man dem Biopic und anderen Informationsquellen trauen darf: als Jazzsängerin! Doch zeitgenössische Jazzsängerinnen finden im Mainstream erst dann Gehör, wenn sie sich dazu entscheiden, ins R&B-Geschäft einzusteigen.
Beeinflusst durch die Musik der Sechziger-Jahre-Girlgroup The Shangri-Las, die Amy im Film durch ihren späteren Ehemann, den Hallodri Blake Fielder-Civil (Jack O’Connell) in einem Pub kennenlernt, scheint sich bei ihr jedenfalls eine andere Idee einzuschleichen: die des Popstars. Auch ihr späterer Look hat den Sixties-Pop klar zum Vorbild. So verpasst ihr Großmutter Cynthia (Lesley Manville), die selbst einst Jazzsängerin war und von Amy als Stilvorbild bezeichnet wird, auch zum ersten Mal die ikonische Retro-Bienenkorbfrisur.
Wie dieser Weg vom Jazz-Pop in den viel massentauglicheren Soul mit Hilfe ihres neuen Produzenten Mark Ronson und vor allem der Zusammenarbeit mit der inzwischen legendären Retro-Soul-Band The Dap-Kings im titelgebenden Album umgesetzt wird, davon erfährt man leider nichts. Im Zentrum des Films steht die toxische Beziehung zu Ehemann Blake, aber auch das Verhältnis zur geliebten Großmutter und dem besorgten Vater wird geschildert. Und zwischendrin gibt’s ein paar Meetings mit den alten weißen Männern ihrer Plattenfirma, die ständig was zu kritteln haben und den Druck auf ihren Star damit konsequent erhöhen. Das wirkt sich auch auf Winehouse’ Alkoholpegel aus. Irgendwann kommt Heroin dazu.
Die Person Amy Winehouse bleibt dabei so flach wie die Rock-’n’-Roll-Klischees der Boulevardmedien: Erfolgsdruck, saufen, noch mehr Erfolgsdruck, noch mehr saufen, Entzugsklinik. Dazu ein unerfüllter Kinderwunsch, der zum Hauptgrund ihrer Sucht hochstilisiert wird. Ihre fatale Beziehung zu Pete Doherty kommt gar nicht vor, dafür jede Menge Paparazzi-Horden.
»Ich wollte einen Film aus Amys Perspektive machen«, umschrieb Taylor-Johnson das Konzept. Dann hätten sie und ihr Drehbuchschreiber Matt Greenhalgh, der bereits für ihren Spielfilm über den jungen John Lennon, »Nowhere Boy« (2009), das Skript verfasste, aber nicht so vieles von dem, was die Künstlerin ausgemacht und ihr Leben bestimmt hat, unter den Tisch fallen lassen sollen. Being Amy hat sich bestimmt anders angefühlt.
Aber vermutlich ist es auch vermessen, über eine vom Ruhm überrollte junge Künstlerin, die keinen Halt mehr in der Welt fand, überhaupt einen Spielfilm machen zu wollen, statt ihre Songs für sich sprechen zu lassen.
Foto (c) DEAN ROGERS / STUDIOCANAL SAS