Roadtrip gegen das Vergessen
Jesse Eisenbergs Roadmovie folgt der Spur der ermordeten jüdischen Vorfahren
Bei Filmen über den Holocaust und seine Folgen für nachfolgende Generationen besteht immer die Gefahr der Trivialisierung. Jesse Eisenberg tappt nicht in diese Falle. Ähnlich wie bei Julia Heinz‘ „Treasure“ handelt es sich bei der zweiten Regiearbeit des bekannten Schauspieler um ein Roadmovie über Nachfahren der Holocaust-Generation. Doch im Gegensatz zu Heinz‘ Film, der etwas zu plakativ vom transgenerationalen Trauma erzählt, öffnet Regisseur und Autor Eisenberg einen Raum für das Nachsinnen über den industriellen Massenmord an sechs Millionen europäischen Juden.
So bekommt Benji, der spektakulär von Kieran Culkin verkörpert wird, stets Wutanfälle, wenn man allzu sachlich an das schmerzhafte Thema herangeht. Gemeinsam mit seinem Cousin David, den Eisenberg selbst spielt, unternimmt er einen Trip nach Polen, auf den Spuren der jüdischen Geschichte. Anlass ist der Tod der Großmutter der beiden, einer Shoa-Überlebenden, die sich in Amerika eine neue Existenz aufgebaut hat.
Während David ein zwangsneurotischer Charakter ist, mit Familie und einem festen Job, schwankt der widersprüchliche Benji zwischen Melancholie und Lebensfreude, Egoismus und Sensibilität. Obwohl er, wie der doppeldeutige Titel schon verrät, ein echter Quälgeist sein kann, erobert er die Herzen der aus jüdischen Amerikanern bestehenden Reisegruppe im Sturm. In mancherlei Hinsicht ist Benji dem ebenfalls von Culkin verkörperten Roman Roy aus der Serie „Succession“ nicht unähnlich, wenngleich er mit Kapitalismus nichts am Hut hat. „Geld ist wie Heroin für verdammt langweilige Leute“, lässt Benji einmal fallen, in diesem an scharfsinnigen und urkomischen Dialogen reichen Film.
Während die Cousins unter Leitung des britischen Reiseleiters James (Will Sharpe) gemeinsam mit der geschiedenen Marsha, einem älteren Ehepaar und Eloge, der vor dem Völkermord in Ruanda floh, historische Stätten in Lublin aufsuchen, finden dank Benji alle einen neuen Zugang zu ihrem Schmerz. Benji selbst erleidet in der ersten Klasse eines Zugs eine Krise, weil er daran denken muss, dass Juden einst wie Vieh eingepfercht in den letzten Waggon verfrachtet wurden.
Nach dem Besuch der Gedenkstätte des Konzentrationslager Majdanek, der mit Demut für die Opfer inszeniert ist, weint Benji Rotz und Wasser. Eisenbergs vielschichtiger Indie-Film zeigt, wie man in Zeiten des wieder erstarkenden Antisemitismus die Erinnerung an den Holocaust wachhalten kann.
Foto (c) Walt Disney Germany
In: Stadtrevue/Jan. 2025