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Foto: © MFA+ Filmdistribution

Fataler Aktionismus

Die Indie-Regisseurin Kelly Reichardt („Meek’s Cutoff“) hat eine einzigartige Handschrift, die ihre Filme zu einem großen Sehgenuss machen: Zum einen besitzt Reichardt, die mit „Night Moves“ ihren fünften Spielfilm vorlegt, eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe. Zum anderen setzt sie die gängigen filmischen Mittel stets äußerst wohlüberlegt ein und spielt mit ihnen. Die Szenarien ihrer Heimat Nordamerika nutzt sie wirkungsvoll, um die Seelenlandschaften ihrer Protagonisten, die zumeist Außenseiter der Gesellschaft sind, zu verdeutlichen.

Mit „Night Moves“ präsentiert Kelly Reichardt nun einen kunstvoll entschleunigten, aber dennoch hochspannenden Öko-Thriller, der sich hauptsächlich im Inneren ihres Hauptprotagonisten abspielt – dem verbissenen Umweltaktivisten Josh (Jesse Eisenberg), der zum Ökoterroristen wird. Eisenberg, der 2010 in „The Social Network“ äußerst überzeugend den misanthropen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg verkörperte, wirkt in Reichardts Film wie ein junger Ben Stiller, dem der Humor komplett abhandengekommen ist.

Gemeinsam mit zwei anderen Aktivisten, denen es nicht mehr genügt, friedvoll auf Umweltsünden aufmerksam zu machen, beschließt er, ein radikaleres Zeichen zu setzen: Er will einen Staudamm sprengen. Dakota Fanning („Twilight“) spielt wunderbar einfühlsam Dena, die ultrakritische Tochter reicher Eltern, der es keine Probleme bereitet, für diese linksterroristische Aktion mal eben 10.000 Dollar auf den Tisch zu legen, um gemeinsam mit Josh das titelgebende Motorboot „Night Moves“ zu erwerben.

Auch Peter Sarsgaard („Blue Jasmine“), der als Ex-Marine Harmon für die Sprengstoffseite des Unternehmens zuständig ist, ist ein absoluter Glücksgriff in diesem dialogarmen Film, der den Zuschauer nicht mit den Motiven der drei sehr unterschiedlichen Hauptcharaktere zutextet, sondern ihm Gelegenheit gibt, sich in die komplexen Charaktere einzufühlen. Die keineswegs romantisch verklärten Landschaftsaufnahmen von Kameramann Christopher Blauvelt, aber auch der feinsinnig eingesetzte Filmscore von Jeff Grace, helfen wie gewohnt dabei.

So versetzt man sich schon bald in die Lage von Josh, der auf einem Ökobauernhof arbeitet und mit verbissener und abweisender Miene in eine hassenswerte Welt schaut, deren Veränderung allerhöchstens noch mit radikalen Mitteln herbeigeführt werden kann. Doch ebenso wie dem Zuschauer die eigentliche Explosion des Staudamms vorenthalten wird, wird man auch nie Zeuge, wie die Emotionen Joshs zum Ausbruch kommen. Nicht einmal seiner latenten Eifersucht lässt er freien Lauf, als er mitbekommt, wie Dena und Harmon miteinander schlafen.

In diesem soziophoben Menschen gärt und brodelt es, und als der wohlgemeinte Terroranschlag schrecklich schiefgeht, zieht dieser schwierige Charakter in eine Paranoia hinein, die dem Zuschauer nur einen Ausweg lässt: sich darüber klar zu werden, wie er an Joshs Stelle gehandelt hätte. Hätte man überhaupt so einen gefährlichen, lediglich ein Zeichen setzenden Anschlag durchgeführt, wie es am Frühstückstisch der Öko-Kommune kontrovers diskutiert wird? Hätte man der Öffentlichkeit die fatale Tat gestanden, wie die sensible Dena es wünscht? Oder hätte man selbst alles getan, um das Verbrechen zu vertuschen und zu überleben?

Reichardt nutzt die Möglichkeiten des Thriller-Genres, um den Zuschauer in jeder Sekunde bei der Stange zu halten: Sie scheut nicht davor zurück, gängige Elemente,wie den riskanten Kauf von großen Mengen Ammoniumnitrat, eine tickende Zeitbombe und eine Polizeikontrolle als Adrenalinkick einzusetzen. Letztlich enthält sie sich jedoch jeglichen moralischen Urteils, was den Film zu einem Ereignis für jeden mündigen Zuschauer werden lässt.

Chilli Freiburg / Aug. 2014