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Foto: © 2014 Sony Pictures Releasing GmbH

Der dritte Blick

Man kann „Dritte Person“, den neuen Ensemblefilm von Autor und Regisseur Paul Haggis („L.A. Crash“), entweder lieben oder hassen: Eigentümlich ist das Drama geworden, für das man auf jeden Fall das Herz eines Fallschirmspringers und einen langen Atem braucht. Auf den ersten Blick scheinen die drei Geschichten und ihre Charaktere nur lose verbunden. Doch es sind Emotionen, die in sehr originellen Bildern alles miteinander verknüpfen: Gefühle der Anziehung, der Verlorenheit, der Desorientierung, der Sehnsucht und des mangelnden Vertrauens. Zudem haben die drei hochkarätig besetzten Paare, um die sich die Episoden drehen, noch etwas gemeinsam: Eine dritte Person im Hintergrund, die ihre Geschichte mehr beeinflusst, als man zunächst vermutet …

Die wichtigste Figur in diesem Film ist der Pulitzerpreisgewinner Michael (Liam Neeson), der in seiner Hotelsuite in Paris versucht, seinen Roman und damit seine Schaffenskrise zu beenden. Michael, wie auch alle anderen Figuren nachnamenlos, hat aus tragischen Gründen, die der Zuschauer erst spät erfährt, seine Frau Elaine (Kim Basinger) verlassen. Mit seiner jungen Geliebten Anna (Olivia Wilde), einer ehrgeizigen Klatschreporterin und Nachwuchsautorin, teilt er das Schicksal vieler ambitioniert Schreibenden: Andere (und ihre Geschichten) schamlos ausnutzen zu müssen, um etwas wirklich Bedeutsames zu Papier bringen zu können – und das damit einhergehende Gefühl, anderen nicht trauen zu können.

In New York versucht unterdessen die ehemalige Seifenoper-Darstellerin Julia (Mila Kunis) das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn zurückzuerstreiten, den sie mit dem erfolgreichen Maler Rick (James Franco) hat. Zeitgleich trifft in Italien der windige Geschäftsmann Scott – Adrien Brody, der wieder einmal unter Beweis stellt, dass er einer der am intensivsten agierenden Schauspieler seiner Generation ist – auf die verzweifelt scheinende, atemberaubend schöne Roma Monika (Moran Atias). Während ihrer leinwandsprengenden Kennlernszene in einer Bar meint man den Schweiß des arroganten Mannes zu riechen, der sich zunächst vergeblich bemüht, der unheilvollen Schönen näherzukommen.

Scott fühlt sich mehr und mehr verantwortlich für die Unnahbare, die behauptet, dass ihre Tochter von Menschenhändlern entführt worden sei. Er versucht, der von allen Seiten diskriminierten Roma zu helfen. Unerklärliche An- und Abstoßungsziehungskräfte wirken zwischen den beiden Fremden, die ihre Geheimnisse mit sich herumschleppen und eigentlich keinerlei Grund haben, einander zu trauen.

Alle drei Geschichten sind durch wiederkehrende Motive, wie dem des Wassers, sowie den unergründlichen Gesetzen der Anziehung und der Liebe miteinander verbunden. Und durch eine zunehmende Grundverwirrung des Zuschauers über die Orte, an denen die Episoden spielen. Erst am Ende des 137 Minuten langen Films fügt sich dieses mysteriöse Gefühl, das den assoziativ mitfühlenden und detektivisch mitdenkenden Zuschauer durch den Film trägt, zu einem sinnvollen Ganzen zusammen.

Das hochemotionale, ungewöhnlich verschlüsselte Ensemble-Drama um drei Paare auf der verzweifelten Suche nach Liebe und Erlösung offenbart erst auf den letzten, sozusagen dritten Blick eine weitere Person, die im Hintergrund ihre Fäden zieht. Und das ist nicht immer die, die man eigentlich in Verdacht hatte …

Movie Magazin / Dez. 2014