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Foto: © Film Kino Text

Wie der Sohn, so der Vater?

 Steven Spielberg konnte nicht widerstehen. Kurz nach den Filmfestspielen von Cannes 2013 sicherte er sich die Remakerechte an dem japanischen Film, den er und seine Jurykollegen mit dem Preis der Jury ausgezeichnet hatten: „Like Father, Like Son“ von Hirokazu Kore-eda. Ob er das Remake nun als Regisseur oder als Produzent stemmen wird, ist offen. Doch ohne seinen Film gesehen zu haben, ist man bereits versucht, dem Original von Hirokazu Kore-eda den Vorzug geben. Weil man vermuten muss, dass in Spielbergs Version der Geschichte um zwei Jungen, die bei der Geburt vertauscht wurden und nun im Alter von sechs Jahren „zurückgetauscht“ werden sollen, zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt wird.

Gerade Kore-edas behutsame, sehr zurückgenommene Art der Inszenierung, die von Kameramann Mikiya Takimoto mit einer angenehmen Distanz und farbreduzierten Bildern unterstützt wird, bewirkt beim Zuschauer ein ähnliches Kopf- und Gefühlskino wie bei den bemitleidenswerten Eltern im Film. Vor allem, wenn er selbst ein Elternteil ist.

Da ist auf der einen Seite das Ehepaar Ryoto (Masaharu Fukuyama) und Midori Nonomiya (Machiko Ono). Er ist ein erfolgreicher Architekt, der nur sehr wenig Zeit für die Familie hat. Seine Frau kümmert sich um ihr einziges Kind Keita, das von dem achtjährigen Keita Ninomiya herausragend gespielt wird. Hirokazu Kore-eda ist für sein außerordentliches Händchen für Kinderdarsteller bekannt. So gewann 2004 schon der damals 14-jährige Yuya Yagira, der in dem Film „Nobody Knows“ brillierte, in Cannes den begehrten Preis für den besten männlichen Darsteller.

Nachdem die Nonomiyas erfahren haben, dass ihr wohlbehütetes Kind Keita bei der Geburt vertauscht wurde, reagieren die Eltern unterschiedlich. Der disziplin- und erfolgsversessene Vater, der den Jungen täglich zum Klavierüben nötigt, schockiert seine Frau mit den ersten spontanen Worten „Das erklärt also alles“. – Schien Keita zu Ryotos Leidwesen doch weder seinen Ehrgeiz noch sein musikalisches Talent geerbt zu haben. Midori dagegen macht sich Vorwürfe, als Mutter nicht gespürt zu haben, dass ihr geliebter Keita nicht ihr leibliches Kind war.

Der Konflikt spitzt sich noch weiter zu, als das Krankenhaus eine Begegnung mit den anderen Eltern arrangiert: Die Familie Saiki mit ihren drei Kindern, von denen der vertauschte Sohn Ryusei der Älteste ist, scheint das ganze Gegenteil der wohlhabenden Einkind-Familie zu sein. Der chaotisch-entspannte Vater Yudai (Lily Franky) hält seine Familie mit einem Elektro- und Haushaltswarenladen mehr schlecht als recht über Wasser. Dafür nehmen er und seine Frau Yukari (Yoko Maki), die nebenher noch als Kellnerin jobbt, sich viel Zeit für ihre Kinder und lassen ihnen mehr Freiheiten. Das Krankenhaus drängt zum raschen Kindertausch, angeblich würden sich 100 Prozent der Eltern in solchen Fällen so entscheiden. Doch der unterkühlt-arrogante Ryoto ist zunehmend verunsichert.

Hirokazu Kore-eda nimmt den Zuschauer mit auf eine gleichermaßen schmerzhafte wie auch erkenntnisvolle Reise, in der er sich gemeinsam mit dem Filmvater existenziellen Fragen der Elternschaft stellt: Woher kommt eigentlich die bedingungslose Liebe gegenüber den eigenen Kindern? Ist sie genetisch bedingt oder machen die Kinder, für die wir intensiv sorgen, uns nicht erst zu einem Vater, einer Mutter – einem Menschen, der in seiner Rolle über sich selbst hinauszuwachsen vermag? Müsste der sich hartnäckig haltende Spruch „Wie der Vater, so der Sohn“ also nicht vielleicht sogar andersherum lauten?

Wer sich in Zeiten von Patchwork-Familien und Diskussionen um Adoption durch schwule Ehepaare intensiver mit diesen spannenden Fragen auseinandersetzen mag, der sollte dieses zutiefst berührende, stille Filmjuwel auf keinen Fall verpassen.

msn / Sept. 2014