Foto: (c) 2014 Twentieth Century Fox
Wer bist Du?
Seit dem Erscheinen des amerikanischen Mega-Bestsellers „Gone Girl“ von Gillian Flynn kam man nicht mehr an dem Thriller vorbei. Ob an irgendeinem Strand der Welt, in der U-Bahn, in Wartezimmern oder im gemütlichen Ehebett, überall leuchtete einem die neonfarbene Titelschrift des Romans entgegen. Nun hat sich niemand Geringerer als David Fincher („Fight Club“) des bitterbösen Stoffs um die gesellschaftliche Bankrotterklärung Amerikas – inklusive Ehehölle – angenommen. Diejenigen, die den Thriller tatsächlich noch nicht gelesen haben, erwartet ein fintenreicher Film wie ein Kriegsfeldzug, in dem sowohl an der Beziehungsfront, als auch im Mediendschungel skrupellos mit allen denkbaren Mitteln gekämpft wird.
Jenen Kinozuschauern, denen das Buch bekannt ist, sei vorab nur so viel verraten: Fincher bleibt ziemlich nah dran an der Vorlage, die Gillian Flynn selbst in Drehbuchform gebracht hat. Und keine Sorge: Die Hauptrollen sind mit dem zweifachen Oscarpreisträger Ben Affleck als Nick und Rosamund Pike als Amy ziemlich gut besetzt. Das gilt übrigens auch für viele der Nebenrollen, von Nicks Schwester Margo (Carrie Coon) über seinen Anwalt (Tyler Perry) bis hin zu Amys Exfreund Desi (Neil Patrick Harris)
So liefert auch Kim Dickens als Detective Rhonda Boney eine ebenso nachhallende Performance ab wie einst Frances McDormand als schwangere Polizistin Marge in „Fargo“. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jim Gilpit (Patrick Fugit), der einen überzeugenden Sidekick abgibt, erscheint sie im Haus von Nick Dunne, der seine Frau Amy am fünften Hochzeitstag vermisst gemeldet hat. Im Wohnzimmer finden sich Zeichen eines Kampfes, aber vorerst keine Blutspuren. Als die Medien von Amys mysteriösen Verschwinden Wind bekommen, beginnt eine unvergleichliche Hetzjagd auf Nick, der sich vor laufenden Kameras leider äußerst ungeschickt verhält – und schnell selbst zum Verdächtigen wird. Insbesondere Missi Pyle als Skandal-Reporterin Ellen Abbott lässt den Zuschauer spüren, wieweit die Macht der Medien – zumindest in Amerika – inzwischen gediehen ist.
In Rückblenden erfährt man, wie sich der Journalist und die Psychotest-Schreiberin einst auf einer Party in New York kennenlernten. Sie ist, wie sie selbst analysiert, der Traum von einem coolen Mädchen, wie ihn viele Männer träumen: Brillant, witzig, Pizza-mampfend und trotzdem schlank. Schon bald folgt auf den perfekten ersten Kuss der perfekte Heiratsantrag. Doch als die hippen Ehepartner ihre Jobs verlieren und in Nicks Heimat Missouri zurückziehen müssen, bekommt die Beziehung tiefe Risse …
Hitchcock hätte seine helle Freude an jener mysteriösen Blondine Amy gehabt, deren Sicht der Dinge der Zuschauer durch Tagebucheinträge näher kennenlernt, die aus dem Off vorgelesen werden. Jedoch hat womöglich so manche Leserin eine um Nuancen vielschichtigere Amy vor Augen gehabt; erst spät flammt im Zuschauer ein wenig Mitleid mit dieser Frau auf, die sich als hochkomplex und neurotisch entpuppt. Dieser Rest von Mitgefühl, der in Finchers klinisch-kalt, perfekt inszeniertem Thriller leider immer wieder ein wenig zu kurz kommt, ist vonnöten, damit wir in den Spiegel, den Flynn und Fincher uns vorzuhalten versuchen, auch wirklich hineinsehen: Haben wir schon die Kontrolle verloren unter all den Masken, die wir tagtäglich tragen? Wissen wir noch, wer der Mensch ist, neben dem wir morgens aufwachen? Und der, der uns morgens aus dem Spiegel entgegenblickt?
Movie Magazin / Okt. 2014