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Foto: rbb / Wildfremd Production

Das Gefühl von Freiheit

„Hast Du schon ‚This ain’t California‘ gesehen?“, wurde im vergangenen Jahr bei der 62. Berlinale von Ohr zu Ohr geraunt. Das zunächst als Dokumentarfilm angekündigte Bravourstück über die Skaterszene in der DDR hielt, was begeisterte Kinobesucher versprachen: Der Zuschauer wird in eine rasante Erzählung über das jegliche Grenzen überschreitende Lebensgefühl einiger Jugendlicher im ehemaligen Überwachungsstaat hineingesogen. Einziger, für einige Zuschauer dicker Wermutstropfen: Etliche der vermeintlich dokumentarischen Szenen wurden nachgestellt, einige der „Zeitzeugen“ sind in Wirklichkeit Schauspieler – ohne dass Regisseur Marten Persiel dies zu erkennen gegeben hätte. Dennoch macht es gewaltigen Spaß sich auf dieses – nunja – halbdokumentarische Skatermärchen, das nun in der ARD erneut zu sehen ist, einzulassen. Denn eine subversive Rollbrettszene gab es in der DDR wirklich. Wer hätte das gedacht?

Dreh- und Angelpunkt des Films ist die Figur des Denis Panicek. Den soll es tatsächlich gegeben haben, im Film allerdings wurden mehrere Biografien zu seiner vermengt. Von dieser Inkarnation eines unerschrockenen Draufgängers – von seinen Freunden „Panik“ genannt – erzählt man sich, dass niemand sonst „Regeln so jehasst hat wie Denis“.

Panicek, in dem die meisten Zuschauer, egal ob aus Ost oder West, ein Stück ihres eigenen Lebensgefühls als Jugendlicher wiederentdecken können, verschwand nach der Wende völlig von der Bildfläche. Erst anlässlich seiner Beerdigung 2011 fand die Clique wieder zusammen. Es heißt, der freiheitsliebende Derwisch auf dem „Rollbrett“ – wie das Skateboard im piefigen Stasistaat genannt wurde – sei als Soldat in Afghanistan gefallen. Nach der Beisetzung erzählen die Freunde, wie das als Jugendlicher und Skater eigentlich so war, damals in den 80-ern in der DDR. Man versuchte, zumeist erfolgreich, den Staat zu ignorieren, einen schwerfälligen Überwachungsapparat, der die aufkeimende Subkultur zunächst verbieten und später dann seiner Volksertüchtigungsmaschinerie einverleiben wollte.

Was folgt, ist ein filmisches Feuerwerk aus echtem und gefälschtem Archivmaterial in Super-8-Ästhetik. Lagerfeuergespräche, Animationen und ein fetter 80er-Jahre-Soundtrack – unter anderem mit Hits von Alphaville, Anne Clark und den sehr frühen Ärzten – lassen den geneigten Zuschauer, gewissermaßen stellvertretend für viele DDR-Jugendliche, mit den Skatern dem Zwang und der Fremdbestimmung davonflitzen. Pure Lebenslust, wahre Freundschaft und Anarchie sind die Begleiter.

Am Anfang des Films führt „Panik“ den Skateboardtrick Ollie in der DDR ein. „Das war wie Mondlandung ohne Mond“, staunen seine Kumpels heute noch. Bei einem Ollie lässt man das Brett unter sich fliegen. Nicht anderes hat der skateboardbegeisterte Regisseur mit seinem Film getan. Und dabei subversiv vermeintliche Gräben zwischen Ost- und Westdeutschen, Jung und Alt und das Genre des Dokumentarfilms übersprungen: Was zählt, ist das Gefühl von Freiheit.

Stimme / Juni 2014