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Objektive Eltern
Man nennt sie neudeutsch gerne Heilkopter-Eltern. Und wer schulpflichtige Kinder hat und von überbesorgten Erziehungsberechtigten unnötig in die Länge gezogene Elternabende auf unbequemen Grundschülerstühlen hat durchleiden müssen, der weiß, welche seltsamen Blüten die elterliche Fürsorge, das ständige Herumschwirren um die Sprösslinge heutzutage tragen kann. Spätestens wenn sich die Grundschulzeit dem Ende zuneigt und der ersehnte Übertritt auf das Gymnasium ansteht, ist für die meisten Eltern Schluss mit lustig. Nicht selten werden dabei die Lehrer über Gebühr für die miserablen Leistungen ihrer „Wunderkinder“ verantwortlich gemacht. Auch Regisseur Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“) hat drei Kinder und war somit prädestiniert dafür, sich der Thematik anzunehmen. Mit „Frau Müller muss weg“ inszenierte er das Bühnenstück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz nun auch für das Kino.
In Zeitlupe marschieren die aufgebrachten Eltern einer vierten Klasse in Dresden an einem schulfreien Samstag zum Treffen mit der Klassenlehrerin auf. Sie wirken wie ein bedrohliches Exekutionskommando: Vorneweg Jessica Höfel (grandios: Anke Engelke), die knallharte Karrierefrau, die sich zur Wortführerin besorgter Eltern aufgeschwungen hat. In ihrem Gefolge befinden sich der arbeitslose Wolf Heider (Justus von Dohnányi), das Ehepaar Patrick (Ken Duken) und Marina Jeskow (Mina Tander), die aus Köln in den ach so schlimmen, ehemaligen Osten gezogen sind und die zwanghaft solidarische, alleinerziehende Mutter Katja Grabowski (Alwara Höfels), die eigentlich keinen Grund hat mitzuziehen, ist ihr Sohn doch Klassenbester.
Bislang war man mit der netten Klassenlehrerin samt ihrer unergründlichen Begeisterung für die Bastelarbeiten und Chorleistungen der Kinder zufrieden. Doch nun, da die meisten der Eltern den Übergang ihrer Sprösslinge ins Gymnasium gefährdet sehen, werden fadenscheinige Argumente herangezogen, um Frau Müller (Gabriela Maria Schmeide) zu stürzen. Hat nicht eines der Kinder erwähnt, die ausgebrannt wirkende Frau Müller mache eine Therapie?
Dass es sich dabei, wie sich später in dieser zuweilen köstlich schwarzhumorigen Komödie herausstellt, um Physiotherapie handelt, wird von den Eltern ebenso beiseite gewischt, wie die klaren Worte, mit denen die erfahrene Pädagogin die Gründe für die Probleme der Kinder benennt: Es sind die Unruhe, der Druck und die Überbehütung durch die Eltern, denen es mehr um die eigenen, eitlen Hoffnungen, als um das Wohl ihrer Kinder geht. Bevor sie sich jedoch zu noch deutlicheren Aussagen hinreißen lässt, verschwindet Frau Müller lieber. Und ihre Tasche, die womöglich den aktuellen Notenspiegel enthält, bleibt zurück.
Doch bevor die Eltern auf die Idee kommen, dort einen Blick hineinzuwerfen, machen sie sich im Schulgebäude auf die Suche nach der Lehrerin. Ein geschickter Kniff Wortmanns, der auf diese Weise den Bühnenrahmen aufzieht und dem Zuschauer einen kinotauglichen Einblick in das Leben der überforderten Erziehungsberechtigten gewährt – mitsamt ihrer Probleme. So bewahren intime, bitter-komische Szenen die Figuren davor, zur Karikatur zu verkommen.
Diese überzogen reagierenden Eltern, die sich auch miteinander heftig in die Haare kriegen, wirken letztlich immer menschlich. So bieten sie insbesondere den Erziehungsberechtigten unter den Zuschauern, die von der eigenen Überforderung, zwischen i-Pod, den heutigen Anforderungen der Arbeitswelt und modernen Erziehungskonzepten ein Lied singen können, großes Identifikationspotenzial.
„Seit wann sind Eltern denn objektiv?“, fragt Anke Engelke mit schneidender Stimme gegen Ende des Films einmal. Ein Schlüsselsatz, der den großen Reiz dieses bissig-witzigen, jedoch auch nachdenklich stimmenden Kammerspiels erklärt: Ob Helikopter-Eltern oder nicht, niemand ist objektiv, wenn es um die eigene Brut geht.