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Foto: © 2014 Disney Enterprises

Du bist nicht allein

Schon wieder eine Grimmsche Märchenverfilmung? Die ewig gleichen Geschichten mit neuer Starbesetzung und in anderer Kulisse? Braucht es das? Ja! Denn Rob Marshalls Verfilmung des Musicals „Into the Woods“ von Autor James Lapine und Komponist Stephen Sondheim, das in den 80er-Jahren sehr erfolgreich am Broadway lief, ist berauschend anders. Zum einen beweisen Stars wie Meryl Streep und Johnny Depp, dass sie nicht nur überragend spielen, sondern auch bemerkenswert gut singen können. Zum anderen spinnt der fabulierfreudige Autor nicht nur die vier Märchen Rapunzel, Cinderella, Rotkäppchen und Hans mit der Bohnenranke auf virtuose Weise zusammen und weiter, sondern lässt den Zuschauer auch überaus vielschichtige Märchenfiguren erleben. Ein lupenreines Happy End? Gibt es im wirklichen Leben doch gar nicht – und auch nicht in dieser zeitgemäßen Märcheninterpretation.

Am Anfang steht wie häufig im Märchen ein Wunsch, der in einem tiefgründigen Song vorgetragen wird. Die alte Hexe – gespielt von einer furiosen Meryl Streep, die dafür zu Recht ihre 19. Oscar-Nominierung erhielt – begehrt vier Dinge aus dem Wald, um ihre Schönheit wieder zu erlangen. Das Bäcker-Ehepaar (Emily Blunt und James Corden) hingegen wünscht sich sehnlichst ein Kind, ist aber mit einem Fluch belegt. Um ihn zu brechen, ziehen sie aus, um die Zutaten für die Hexe zu besorgen. Dabei treffen sie auf die anderen Märchenfiguren – und deren Wünsche: Die arme Cinderella, die von Anna Kendrick glaubwürdig dargestellt wird, möchte auf den Ball des Prinzen. Das aufgeweckte Rotkäppchen (Lilla Crawford, leuchtend wie ein Kinderstar aus lang vergessenen Technicolor-Zeiten) hofft, den Weg zur Großmutter zu finden, und Hans (Daniel Huttlestone) möchte seine geliebte Kuh behalten.

Alle begeben sich aus unterschiedlicher Motivation in den von Kameramann Dion Beebe gewissermaßen als Bühne unseres Unterbewusstseins fotografierten, von Licht und Schatten durchfluteten Wald. Dorthin also, wo von jeher unsere Sehnsüchte, Träume und Ängste hausen. Das Kostümdesign von Colleen Atwood tut sein Übriges, um das Märchen-Mash-up-Musical zu einem Fest für die Augen werden zu lassen. Zum großen Unterhaltungswert von „Into the Woods“ tragen indes immer wieder unglaublich absurd-witzige Szenen bei, etwa wenn Rapunzels Prinz (Billy Magnussen) und Cinderellas Königssohn (Chris Pine) an einem Wasserfall mit Fönfrisur und entblößter Brust den Song „Agony“ vortragen.

Wenn all die Wünsche der mehr und mehr menschlich wirkenden Märchenfiguren erfüllt worden sind, nimmt die von einem durchweg verblüffend spielwütigen Cast vorangetriebene Geschichte noch einmal Fahrt auf. Zwar verliert sich dabei leider der ein oder andere Handlungsstrang im Nichts. Aber hier leben die Figuren eben nicht „glücklich bis an ihr Lebensende“: Cinderella kann sich ein langweiliges Leben im Schloss mit einem Prinzen, der offenherzig zugibt, nicht zur Aufrichtigkeit, sondern zum Charmantsein erzogen worden zu sein, nicht mehr vorstellen. Auch die sympathische und gar nicht so erztreue Bäckersfrau erliegt kurzzeitig dem Charme des eigentlich nunmehr vergebenen Prinzen, ihr Mann wiederum muss in die Vaterrolle erst hineinwachsen. Und nicht zuletzt droht eine wütende Riesin, das ganze Reich zu verwüsten.

Am Ende ist nichts mehr so, wie man es aus Märchen kennt. Alle Illusionen werden noch einmal auf den Prüfstand gestellt und die Personenkonstellationen wild durcheinandergewirbelt. Dennoch leben die meisten Figuren sicher recht glücklich weiter, weil sie eine wichtige Botschaft von „Into the Woods“ verstanden haben: Du bist nicht allein.

Radio Köln / Feb. 2015