Foto:© Tobis Film
Gabriele Summen bat eine bestens aufgelegte Sofia Coppola zum Interview in Berlin.
Was haben Sie Bill Murray zu seinem 60. Geburtstag letzten Monat geschenkt?
Das war letzten Monat? Oh nein, das wusste ich gar nicht. Ich hab’s verpasst. Wann war das genau?
Am 21.
Oktober?
Nein, September!
September? Oh nein, das müsste ich doch eigentlich wissen: Er teilt den Tag mit einem anderen Freund von mir. Ich werde es mir jetzt aufschreiben. Es ist nie zu spät zu gratulieren …
Ich habe viel gelacht über „Lost In Translation“. Und auch, als ich „Somewhere“ ansah. Zum Beispiel über die Zwillingsstripperinnen, die sich der Protagonist Johnny Marco auf sein Zimmer bestellt und die dann für ihn ihre Stangen-Performance durchziehen, bei der er einschläft … Oder als Johnny Marcos Kopf von den Special-Effect-Männern bis auf die Nasenlöcher eingegipst und damit allein gelassen wird. Lachen Sie oft über die Absonderlichkeiten des modernen Lebens?
Ja, ich glaube tatsächlich, es gibt immer etwas, was man absurd, lustig oder berührend finden kann. Ich wollte genau das in diesen Film hineinpacken! Als wir zum Beispiel die Massageszene gedreht haben, in der sich der Masseur von Johnny Marco plötzlich nackt auszieht – da mussten wir eigentlich ganz leise sein, dabei wollten wir die ganze Zeit lachen. Einem Freund von mir ist diese Szene übrigens wirklich einmal so passiert …
In Ihren Filmen gibt es nicht viele Dialoge. Bilder und Musik scheinen Ihnen wichtiger zu sein. Inspiriert Sie manchmal ein Musikstück konkret zu einer Szene?
Ja, wenn ich schreibe, höre ich immer Musik, und in der Regel tauchen dann auch besondere Bilder auf. Es ist sehr hilfreich für mich, bei der Arbeit Musik zu hören. Ich möchte mich immer mehr auf das Visuelle konzentrieren und mit der Musik genau die Atmosphäre schaffen, die mir vorschwebt – nicht so, wie es oft gemacht wird: auf den Dialog und die Handlung konzentriert.
Wie wichtig ist Musik für Ihr Leben und Ihr Filmemachen?
Als ich jünger war, habe ich mir viele Bands angeguckt. [lacht] Nun, da ich Kinder habe, muss ich einigermaßen frisch sein am Morgen. Aber ich genieße es immer noch, Musik zu hören – und es hilft mir wie gesagt beim Schreiben…
Hilft Ihnen Ihr Lebensgefährte Thomas Mars bei der Auswahl der Filmmusik?
Ja, wir arbeiten zusammen. Ich suche die Musik aus und spiele sie ihm vor. Seine Band Phoenix hat ja zu „Somewhere“ die Filmmusik gemacht. Manchmal verwende ich auch Sachen, die er angeschleppt hat…
Ihre sehr persönlichen Filme kreisen alle um ein ähnliches Thema – Stichwort: Identitätskrisen berühmter oder privilegierter Persönlichkeiten. Sie variieren dieses Thema, wie ein Komponist ein Musikthema variiert. Warum fasziniert Sie diese Thematik so?
Ich weiß nicht so genau, warum mich das Thema fasziniert. Eine Menge kreativer Leute arbeiten so, dass sie sich an dem abarbeiten, was sie fasziniert. Ich mag diese besonderen Momente des Übergangs. Das sind einfache interessante Punkte im Leben eines Menschen. Aber mich interessiert die Perspektive des Inneren eines Charakters – von innen auf das Drama außen zu blicken. Wie die Leute darin ihre Identität suchen, einen Weg für sich herausfinden wollen. Das betrifft ja jeden Menschen.
Nach der Vorstellung von „Somewhere“ erschien mir das Licht anders, ich nahm Geräusche anders wahr. Ihre Filme gehören zu den wenigen, die die Wahrnehmung für ein paar Tage verändern können. Was ist Ihr Geheimnis?
Auch bei „Somewhere“ habe ich versucht, viele Dinge minimalistisch anzugehen und mich auf die Details zu konzentrieren. Denn wenn man Details geschickt einsetzt, können sie großen Eindruck auf den Betrachter machen. Es muss kein gewaltiges Ereignis sein, das die Leute dazu bewegt, sich auf etwas zu konzentrieren und genau hinzuschauen! Ich war ja schon Mutter, als ich das Skript schrieb. Das bewirkt einfach, dass du auf andere Dinge achtest. Wenn du immerzu beschäftigt bist, fallen dir die Kleinigkeiten des Lebens nicht mehr auf. Ich versuche immer, intuitiv zu arbeiten und das zu tun, was für den Charakter richtig ist – und für den Film. Ich folge nicht immer denselben Regeln! Bei „Virgin Suicides“ versuchte ich, alles aus der Sicht der Jungen aus der Nachbarschaft zu erzählen … Gewöhnlich ist die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird, für mich elementar. Bei „Somewhere“ wollten wir, dass der Zuschauer die Kamera vergisst. Deshalb haben wir uns für sehr lange Einstellungen entschieden. Wir haben die Kamera nicht viel bewegt, damit der Zuschauer vergisst, dass er einen Film anschaut, und sich mit dem Schauspieler Johnny Marco ganz allein fühlt.
Wie arbeiten Sie mit Ihren Schauspielern?
Dieser Film war sehr auf Stephen Dorff in der Rolle des Johnny Marco fokussiert. Wir haben vorher viele Proben gemacht. Das meiste, was zwischen den Menschen in dem Film passiert, bleibt ungesagt. Sie reden ja nicht viel. Wenn aber zum Beispiel seine Ex-Frau auftaucht, möchte ich, dass man fühlt, wie ihre Beziehung war. Man soll die Geschichten, die hinter der Geschichte liegen, spüren. Wir haben diese Szenen also oft geprobt. Ich denke, das hat den Schauspielern am Ende geholfen, so gut zu spielen.
Lassen Sie die Schauspieler auch manchmal Dialoge improvisieren?
Das hängt von der Szene ab. Ich mag Improvisation. Manchmal ist mir ein bestimmter Dialog jedoch sehr wichtig. Aber zum Beispiel die Szene, in der Johnny und sein alter Freund rumhängen und „Guitar Hero“ spielen. Vieles davon ist improvisiert, anders würde das gar nicht funktionieren, das würde vollkommen unnatürlich aussehen. Kennen Sie Chris Pontius, den Typen aus „Jackass“, der den alten Freund von Johnny spielt?
Ja, er wirkt sehr natürlich.
[Gekicher auf beiden Seiten]Ich habe diese Szene gar nicht geschrieben, er kam irgendwann damit an…
In „Somewhere“ wird der orientierungslose berühmte Schauspieler auf einer Pressekonferenz gefragt: „Wer ist Johnny Marco?“ Er kennt die Antwort nicht. Welche Antwort würden Sie geben?
Ihn betreffend oder mich betreffend?
Johnny Marco betreffend…
Er ist wirklich verunsichert an diesem Punkt in seinem Leben. Jemand fragte so etwas einmal einen Freund von mir bei einer Pressekonferenz. In so einem Kontext ist solch eine Frage natürlich wirklich befremdlich! Ich versuche einfach zu zeigen, dass er ein bisschen verloren ist, wie in einem Nebel feststeckt …
Sie sind die Tochter eines berühmten „Filmmenschen“. Sind die Figur von Johnny Marcos Tochter Cleo und manche Szenen in „Somewhere“ von Ihren persönlichen Erlebnissen inspiriert?
Ja, zunächst war da die Tochter von zwei Freunden von mir, die mich zu der Geschichte inspiriert hat. Ich dagegen bin in einer ganz anderen Welt aufgewachsen. Aber da gibt es dennoch Parallelen: immer von Berühmtheiten umgeben zu sein, zu sehen, wie diese Leute miteinander umgehen usw. Die Szene im Casino zum Beispiel, ich war in dem Alter auch mit meinem Vater im Casino. Oder mein Cousin Nicolas Cage – er ist auch in Wirklichkeit diese Art von Mann, der stets zu Späßen aufgelegt ist.
„Somewhere“ ist auch ein Film über das nicht-touristische L.A. heute. Was bedeutet Ihnen diese Stadt?
Das Zentrum des Showbusiness! Ich mag es einfach, dort zu sein, im Auto zu sitzen. Es ist anders als in New York, wo du meistens läufst. In L.A. gibt es tagsüber dieses sehr direkte grelle Licht – in Paris dagegen ist das Licht sehr weich. Ich habe versucht, meinen Eindruck von L.A. in den Film zu packen…
Ich habe auch den Film „Greenberg“ gesehen, der von demselben Kameramann, Harris Savides, geschossen wurde und auch in L.A. spielt…
Ja, der wurde direkt vor unserem gedreht. Ich mag Harris Savides‘ Arbeiten wirklich sehr, vor allem die, die er für Gus Van Sant gemacht hat: Er hat für ihn „Elephant“ gedreht und auch den Film über Kurt Cobain, „Last Days“. Wir haben uns bei der Arbeit für einen Werbeclip kennengelernt – für ein Parfum von Dior. Das war vor ein paar Sommern, meine Tochter war noch ein Baby, und ich wollte ein bisschen ins Berufsleben zurück. Er ist wirklich ein sehr sensibler Kameramann. Er hat einen großen Anteil am Film. Harris hat mich bei vielen Einfällen unterstützt, hat sich immer Zeit für meine Ideen genommen…
Haben Sie zufällig das letzte Buch von Bret Easton Ellis, „Imperial Bedrooms“, gelesen? Da gibt es verblüffende Ähnlichkeiten, was das Sujet betrifft. Das Buch spielt auch in L.A., im gleichen Milieu.
Nein, aber ich hörte davon. Ich mochte „Less Than Zero“, es beeindruckte mich sehr, als ich ein Teenager war! Es spielen die gleichen Charaktere wie in „Less Than Zero“ mit, oder?
Ja. Im neuen Buch heißt es: „Traurigkeit ist überall.“ Gemeint ist das narzisstische, brutale Gesicht des Kapitalismus. Stimmen Sie damit überein? Sind Narzissmus und Melancholie tatsächlich die einzigen Antworten auf dieses System?
Nein, es ist nur eine Art, auf die Umstände zu reagieren. Und alles hat Nebenwirkungen. Es ist nur eine Frage der Balance.
Sie scheinen mir eine Frau zu sein, die ziemlich gut ausbalanciert ist…
Ich versuche es. Ich stecke viel Arbeit in meine Filme – viel Energie! Ich sehe das Filmemachen nicht nur als einen Job. Ich versuche bei jeder Entscheidung, das zu wählen, woran ich auch wirklich glaube: die Bilder, die Musik, was auch immer! Ich versuche mich selbst in all diese Aspekte des Filmemachens einzubringen: Am Ende ist es meine Sicht der Dinge.
Sie haben zwei Töchter, im Frühling ist Ihr jüngstes Kind geboren worden. Wie haben Ihre Kinder Ihre Sicht auf das Leben verändert?
Ich habe das Skript geschrieben, nachdem meine erste Tochter geboren war – und ich habe darüber nachgedacht, wie das Elterndasein auf dich einwirkt und deine Prioritäten verändert. Es ist angenehm, nicht mehr immer die erste Geige im eigenen Leben zu spielen. Außerdem fängst du an, mit deiner Zeit konzentrierter umzugehen. Du kannst einfach keine Zeit mehr verschwenden. Jetzt, wo ich Kinder habe, muss ich sehr organisiert sein, vorher war ich es nicht so. Kinder zu haben bewirkt auch, dass du manchmal etwas runterkommen musst, langsamer wirst und auf die Dinge mehr aus dem Blickwinkel eines Kindes schaust…
Wenn Sie für einen Tag in Ihrem Leben mit einer anderen Person tauschen könnten – mit wem würden Sie tauschen?
Oh! Darüber habe ich wirklich noch nie nachgedacht. Möglicherweise mit meiner Tochter: noch mal einen Tag in die Vorschule gehen. [lacht]
„Somewhere“ (USA 2010; R: Sofia Coppola; D: Stephen Dorff, Elle Fanning, Chris Pontius; 11.11.)
Intro vom 2.11.2010