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Er hätte die Welt verändert
Zivilcourage ist ein seltenes, demokratisches Gut, für das häufig ein hoher Preis gezahlt werden muss. So war Edward Snowden sicher durchaus bewusst, dass sich sein Leben durch die Preisgabe der ungeheuren Abhörtechniken der Geheimdienste vermutlich für immer verändern würde. Auch der weitsichtige Schwabe Georg Elser, der bereits 1939 im Alleingang ein Attentat auf Hitler plante, welches nur misslang, weil der Führer den Münchner Bürgerbräukeller 13 Minuten früher als geplant verließ, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Mit „Elser – Er hätte die Welt verändert“ von Regisseur Oliver Hirschbiegel bekommt der mutige, heimatverbundene und selbstbestimmte Freigeist endlich sein wohlverdientes filmisches Denkmal.
Jedes Kind kennt heute Edward Snowden, auch Widerständler wie der aristokratische Graf von Stauffenberg und die aus Akademikerkreisen stammenden Geschwister Scholl sind weltberühmt. Georg Elser hingegen nicht. Das liegt zum einen vermutlich daran, dass er „nur“ ein einfacher Handwerker war, der zudem unangenehmerweise noch den sich hartnäckig haltenden Mythos widerlegte, man hätte das Dritte Reich nicht kommen sehen können. Zum anderen scheint das damals von der Reichspropanganda verbreitete Bild eines psychotischen Sonderlings tatsächlich bis heute noch weiterzubestehen. Dass dieser Elser ein ganz anderer Mensch war, zeigt Oliver Hirschbiegel – der in seinem oscarnominierten Film „Der Untergang“ (2004) noch etwas unangenehm fasziniert schien von der Figur des Adolf Hitler – in seinem beeindruckenden Film.
Sicher: Es gab bereits zwei Langfilme über Elser. Das Doku-Feature „Der Attentäter“ (1969) zeichnete ihn allerdings eher als sonderbaren Eigenbrötler, der er nicht war, wie auch die ausführliche Recherche, die die Drehbuchautoren Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer für „Elser“ durchgeführt haben, ergeben hat. Auch Klaus Maria Brandauer setzte in „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ (1989) einen anderen Schwerpunkt. Der Regisseur und Hauptdarsteller legte weniger Wert darauf, die Motivation dieses unfassbar mutigen Mannes sichtbar zu machen. Sein Film funktionierte eher im Stile einer Hollywood-Produktion, als starbesetzter Thriller, in dem die Uhr bis zu Elsers Tat langsam heruntertickt.
Hirschbiegels Portrait hingegen beginnt gleich mit dem misslungenen Attentat vom 8. November 1939. Hitler selbst ist nur von weitem zu hören, seine Worte sind teilweise vernuschelt. Wenig später wird Elser, beeindruckend verkörpert von Christian Friedel („Das weiße Band“) auf der Flucht in die Schweiz festgenommen. Der Attentäter wird unter verschärften Bedingungen von Gestapo-Chef Heinrich Müller (Johann von Bülow) und dem Reichskriminaldirektor Arthur Nebe (beeindruckend: Burghart Klaußner) verhört. Von Anfang an beharrt der gelernte Schreiner darauf, ohne Hintermänner gehandelt zu haben. Wenn er in einem der endlosen Verhöre bitter auflacht, dass freiwillig niemand bei seinem Vorhaben mitgemacht hätte, läuft insbesondere dem deutschen Zuschauer ein Schauer der Fremdscham über den Rücken. Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn die Kamera von Judith Kaufmann das reglose Gesicht der Protokollführerin beobachtet, die während der lautstarken Folter seelenruhig draußen sitzt und liest. Dabei lässt Elser keinen wirklich kalt: Gerade der opportunistische Kripochef Nebe scheint vom Mumm und dem klaren Verstand des Verhörten beeindruckt.
Denn Elser war stets ein wacher Geist: In Rückblenden erfährt man, wie der lebenslustige Schwabe die 30er-Jahre in seiner Heimat Königsbronn verbracht hat. Der Musikus flirtet gern, lernt seine große Liebe Elsa (Katharina Schüttler) kennen und sympathisiert mit den harmlosen Kommunisten. Er beobachtet aber auch großer Sorge die Veränderungen in seinem Heimatdorf, nachdem die Nazis an die Macht gekommen sind. Bald tauchen die ersten Hakenkreuze auf, sitzt die Geliebte eines Juden mit einem diffamierenden Schild auf dem Dorfplatz: Die charakterlosen Volksgenossen feixen dazu oder lassen es geschehen. Auch hier verhält sich der empfindsame Humanist anders.
Georg Elser war die leider ganz seltene Ausnahme von der Regel: Er war ein standhafter Mann, der Zivilcourage bewies. Einer der Menschen, ohne die jede Demokratie zum Scheitern verurteilt ist. Hirschbiegels Verdienst ist es, dem Zuschauer diese Tatsache noch einmal unmissverständlich vor Augen zu führen.