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Von der Hure zur Madonna
Die Integrationsleistung, die Türken in wenigen Generationen in Deutschland vollbracht haben, ist ein vielschichtiges Thema, das filmisch noch längst nicht voll ausgelotet wurde. Auch dem mit trockenem Humor fein durchsetzten Drama “Von glücklichen Schafen” des Deutschtürken Kadir Sözen liegt dieser spannende Stoff zugrunde. Leider unterwandern zuweilen plakative Drehbucheinfälle die solide Schauspielleistung und Originalität seines sichtlich ambitionierten Familiendramas und ziehen den Film immer wieder auf billiges Fernsehniveau herunter.
Dabei beginnt der Film mit einer recht witzigen und klugen Szene: Can (Jascha Baum) masturbiert unter der Bettdecke ganz offensichtlich, als seine attraktive Mutter Elmas (Narges Rashidi) und seine kleine Schwester Sevgi (Marlene Metternich) nichtsahnend ins Zimmer hereinplatzen, um ihm zum 16. Geburtstag zu gratulieren. Damit wird ein wichtiges Grundthema des Films eingeführt: Es geht in “Von glücklichen Schafen” – ganz unabhängig von der Nationalität der Figuren – auch um sexuelle Doppelmoral.
Elmas, Tochter eines Arbeitsemigranten (Vedat Ericin), schenkt ihm eine wertvolle E-Gitarre. Denn die alleinerziehende Mutter, die mit ihren Kindern in einer großen Wohnung im kostspieligen Köln haust, tut alles dafür, um ihrem Nachwuchs ein materiell abgesichertes, warmes Nest zu bereiten. Doch dann erfährt der pubertierende Can durch einen peinlich-dummen Zufall, dass seine Mutter ihm seinen komfortablen Lebensstandard nicht – wie vorgetäuscht – durch ihren schmalen Lohn als Nachtschwester ermöglicht. Stattdessen arbeitet Elmas arbeitet als Prostituierte in einem kleinen Bordell.
Für Can stürzen sämtliche Welten zusammen. Er reagiert mit ohnmächtiger Wut, aber auch urplötzlich mit Handgreiflichkeiten gegenüber seiner Mutter, die an die Diskussionen um Ehrenmord-Moral erinnern. Elmas hingegen verhält sich – ebenfalls unglaubwürdig – auf einmal fast schon nervtötend passiv, ignoriert seine plötzlichen patriarchalen Attitüden. Ein Zusammenleben ist nicht weiter möglich. Can zieht kurzerhand mit seiner kleinen Schwester zum Großvater. Der noch sehr traditionell denkende, zurückgezogen lebende Witwer, der eher gebrochen Deutsch spricht, hat seiner “gefallenen Tochter” ihren Beruf nie verziehen und geht ihr seit Jahren aus dem Weg.
Elmas selbst, die die zweite in Deutschland aufgewachsene Generation verkörpert, schwankt zwischen bodenloser Scham und realistischer Selbstrechtfertigung. Als ungelernte, alleinerziehende Arbeiterin konnte sie ihren Kindern wohl kaum auf andere Weise solch ein sorgenfreies Zuhause bieten. Die Geschwister dagegen repräsentieren die dritte Generation der Einwanderer, sie sind von ihren deutschen Freunden kaum zu unterscheiden, außer womöglich in ihrem ausgeprägten Familiensinn.
Nach Cans traumatischem Erlebnis spaltet sich der Film auf in eine Art Coming-of-Age-Geschichte des Sohnes und Elmas reuiger Wandlung von der Hure zur Madonna. Sie kündigt im Bordell und nimmt einen Job als Putzfrau in einer Kirche an. Das wirkt nicht nur ein wenig dick aufgetragen, sondern ist auch ärgerlich. Denn nun wird die selbstbewusste Elmas einfallslos zu einer Art, von ihrem übertriebenen Selbsthass angestachelten Märtyrerfigur aufgebaut. Eine zeitgemäßere, vielschichtigere Lösung ihres inneren Widerstreits wäre da wünschenswert gewesen. Auch der ebenfalls spannende Mutter-Sohn-Konflikt wird leider eher schweigend ausgetragen. Er gipfelt darin, dass Can das Bordell von Elmas’ Zuhälter Klaus (Benno Fürmann) abfackelt.
Derartige Szenen wirken konstruiert und lassen gelungene, subtile Sequenzen, wie sie sich vor allem im Hause des Großvaters abspielen, leider verblassen. Opa beginnt nämlich, durch die Konfrontation mit seinen in Deutschland bestens sozialisierten Enkeln, allmählich zu dämmern, welche Schuld er an dem Familiendrama trägt. So dürfen der Großvater und der Enkel letztlich eine Entwicklung durchmachen, während die Hure und Mutter – wie in einem Märchen von vorgestern – dramatisch von der Bildfläche verschwindet.