Kröten und Krähen
Andrea Arnold gönnt den von ihren Umständen gebeutelten Figuren einige magische Momente
„Is it to real for ya?“ Diesen Song der Postpunk Band Fontaine D.C. singt der frohgelaunte Bug in Andrea Arnolds „Bird“. Bezogen auf den fünften Spielfilm der für ihren glaubwürdigen Sozialrealismus bekannten Regisseurin müsste die Antwort eher „Nein“ lauten, wenn die Realität für Bug auch noch so viele Probleme bereithält. Er ist viel zu jung und abgebrannt, um ausreichend Verantwortung für seine Kinder zu übernehme. Und als Filmfigur so real, wie die Ignoranz britischer Politik gegenüber Kinderarmut im eigenen Land.
Saltburn-Star Barry Keoghan – eine versteckte Anspielung auf Emerald Fennells Überraschungshit konnte sich Arnold nicht verkneifen – spielt diesen Bug mit viel Verve. Bugs neuste Geschäftsidee: Mit Hilfe einer Colorado-Kröte will er halluzinogenen Schleim produzieren, um so seinen Lebensunterhalt und seine bevorstehende Hochzeit mit seiner aktuellen Freundin zu finanzieren. Doch welches Lied spielt man der Kröte vor, um sie zur Drogenproduktion anzuregen? „Yellow“ von Coldplay? Oder doch lieber „The Universal“ von Blur? Hier zeigt sich Arnolds immer wieder aufblitzender Humor.
Bugs Tochter, die zwölfjährige Bailey, gespielt von von Newcomerin Nykiya Adams, hält nichts von der neusten Schnapsidee ihres kindsköpfigen Vaters. Das toughe Mädchen, das mit seiner halben Familie in einer besetzten Bruchbude wohnt, hat genug eigene Probleme – ihre Mutter und ihre anderen Geschwistern leben mit einem gewalttätigen Mann zusammen, ihr Halbbruder ist einer Bürgerwehr beigetreten, die ebensolche Männer bestraft und niemand steht der Pubertierenden zur Seite. Einzig die Vögel-und Schmetterlingsvideos, die sie mit ihrem Handy aufnimmt, bringen ein wenig Poesie und Hoffnung in ihren Alltag.
Das ändert sich, als auf einmal ein komischer Vogel, namens „Bird“, in ihrem Leben auftaucht. Der queere Vagabund, gewohnt schräg verkörpert von Franz Rogowski, bringt eine gehörige, nicht immer förderliche Wundertüte magischen Realismus in den Film. Die beiden verlorenen Seelen freunden sich miteinander an und die schroffe Bailey lässt allmählich ein wenig Verletzlichkeit zu.
Die ausgefransten Bilder von Ken Loach- und Georgios Lanthimos-Kameramann Robbie Ryan, das fantastische Ensemble aus Profis und Laiendarsteller*innen und der tolle Soundtrack macht es verzeihlich, dass die surrealen Elemente des Films seine erzählerische Wucht und Aussagekraft zuweilen schwächen.
Foto (c) Atsushi Nishijima
In: Stadtrevue / Feb 2025