Foto (c) Prokino
Anais rennt
Charline Bourgeois-Tacquet gelingt in ihrem Debütfilm eine wunderbar leichte Sommerkomödie
Anaïs“ rennt gefühlt die Hälfte des Films durchs Bild. Mal hetzt sie verspätet in ihre Wohnung, wo die Vermieterin schon auf sie wartet, dann wiederum stürzt sie unendlich viele Treppen hoch, statt den Aufzug zu nehmen, da sie unter Klaustrophobie leidet. Oder sie kommt zu spät zur Verabredung mit ihrem Freund angerannt, dem sie mal eben nebenbei mitteilt, dass sie schwanger ist, aber auf jeden Fall abtreiben will.
„Du bist wie ein Bulldozer“, rügt der sie zu Recht, doch die immerhin schon 30-jährige Anaïs, die den Vornamen mit ihrer bezaubernden Hauptdarstellerin Anaïs Demoustier teilt, ist darüberhinaus so erfrischend und gierig nach Leben, dass man ihr nicht böse sein kann. Darin erinnert sie an Julie aus Joachim Triers großartiger Coming-of-Age-Dramödie „Der schlimmste Mensch der Welt“ – auch wenn „Der Sommer mit Anaïs“ als leichte Komödie nicht den Tiefgang des norwegischen Meisterwerks anstrebt.
Großartig und auf umangestrengte Weise vielschichtig ist Charline Bourgeois-Taquets Langfilmdebüt dann, wenn die lebenshungrige Anaïs und die Autorin Emily (Valeria Bruni Tedeschi) einander näher kommen. Nachdem nämlich Anaïs mit ihrem Freund Schluss gemacht hat, stürzt sie sich in eine recht leidenschaftslose Affäre mit Emilys Mann David (Denis Podalydès) – einem Verleger – wodurch Anaïs erst auf seine faszinierende Frau aufmerksam wird. Die ziellose Literaturstudentin verschlingt daraufhin Emilys Bücher und beginnt die wesentlich ältere Frau zu stalken, denn sie ist felsenfest davon überzeugt, dass sie einander ähneln. Und tatsächlich beginnt Emily sich nach und nach ihrer quirligen Verehrerin zu öffnen.
Hinreißend ist eine Szene in der die beiden „Frauen in Flammen“ zum 80er-Jahre-Hit „Bette Davis Eyes“ miteinander tanzen. Wenn sie sich wenig später in der flirrenden Sommerhitze am Strand einander hingeben, erinnert das wiederum an Luca Guadagninos schwule Romanze „Call me by your name“. Der Soundtrack unterstreicht dabei stets hervorragend Anaïs‘ Gefühlswelt.
Der unbekümmert Vorwärtsdrang seiner Protagonistin, die sich über die Zukunft keine Gedanken macht, während sie auf der Suche nach Liebe durch ihr Leben rennt, bleibt im Gedächtnis und ruft noch lange nachdem der Kinovorhang gefallen ist, ein leises Lächeln hervor.
„Sommer mit Anais“ in Kölner Stadtrevue von Juli 2022